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Verfasser: abendrot
Datum: Dienstag, den 30. Dezember 2008, um 1:42 Uhr
Betrifft: Schon ziemlich lang her

aber im folgenden meine Erinnerungen daran:

Mein "erstes Mal" war im Rahmen der sog. "Jugendtempelfahrten" in den schweizer Tempel und später dann in den frankfurter. Ich erinnere mich daran mit gemischten Gefühlen. Einerseits habe ich mich - gerade bei den ersten Malen - darauf gefreut, weil es von den anderen, älteren Jugendlichen immer hieß, es wäre eine tolle Zeit und würde viel Spaß machen. Das stimmte zum Teil auch, weil die Fahrt dorthin für mich ähnlich war wie eine Urlaubsfahrt ins Ausland (ich war bis dahin noch nie in der Schweiz) und ich damals auch gute Freunde unter den anderen Jugendlichen hatte, also ziemlich gut "integriert" war.

Die Unternehmungen und "Aktivitäten" (mittlerweile ist mir dieses in der Mormonenkirche gern gebrauchte Wort unsymphatisch) waren auch meist ganz nett, seien es Ausflüge in die Schweizer Berge oder der Besuch dieses großen Einkaufszentrums dort nebst Einkauf von "Mormonensekt" (= eine Art süßer Sekt ohne Alkohol). Von dem vielen Sport hatte ich als Unsportlicher jedoch nicht viel, das war recht öde. Generell kommen mir die Jugendveranstaltungen im Rückblick als reichlich sportdominiert vor. Ging das anderen auch so, oder war das vielleicht eher eine regionale Spezialität in meinem Fall? Aber auch das Zusammenleben mit ja doch mehr oder weniger fremden Menschen auf engstem Raum während dieser Woche ohne den gewohnten Rückhalt durch die eigenen Eltern, die nicht dabei waren, war nicht so lustig zum Teil... also der Entwicklung des eigenen Willens und der Selbstbestimmung war das nicht wirklich förderlich, aber das war die ganze Zeit als Jugendlicher in dieser Religion nicht.

Naja, wie dem auch sei, zu den weniger erfreulichen Aspekten gehörten z. B. die obligatorische, große "Zeugnisversammlung" aller Mitgereisten gegen Ende einer solchen Tempelwoche, welche gerne im Freien abgehalten wurde. Ich erinnere mich nur ungern daran, weil damit eine unausgesprochene Erwartungshaltung einherging, auch selbst "sein Zeugnis abzulegen", am besten davon, wie toll es doch gewesen war. Anscheinend im Gegensatz zu anderen, die ohne größere Schwierigkeiten aufstanden und oft ergriffen recht ähnliche Standardfloskeln von sich gaben, konnte ich mich fast nie dazu durchringen, sei es wegen der Menschenmenge oder weil ich nicht wirklich ehrlich etwas zu sagen hatte.

Auf den Tempel selbst war man ja schon im Vorfeld "eingestimmt" worden im Sinne von: "ja leise + andächtig sein im "Haus des Herrn"". Überhaupt wurde da die "Heiligkeit" des Tempels sehr aufgebauscht... da konnte man fast nicht anders als an seiner eigenen "Würdigkeit" zu zweifeln (Wenn man bedenkt, dass die Kirche z. B. Handwerkern zu Wartungs- oder Reparaturarbeiten auch nach der Weihung ohne weiteres Zugang zu einem Tempel gewährt, ohne dass er danach neu geweiht wird, entlarvt dies das Ganze schon als Witz).

Die teilweise recht strengen Mienen der Tempelarbeiter bzw. Tempelführung trugen auch nicht gerade zur Entspannung bei... Unangenehm waren auch der Zeitdruck, der teilweise herrschte mit Hinfahren, schnell umziehen, nach der Taufe schnell abtrocknen für die "Konfirmationen". Achja, worüber ich mich beim ersten Mal eigentlich schon gewundert habe, es aber auch gleich wieder versucht habe zu verdrängen war die Tatsache, dass das ganze wie im Akkord ablief. Man merkte richtig den Zeitdruck, mit dem da die Namen vom Monitor abgelesen wurden und unter dem man regelrecht versuchen musste, ein gutes Timing zum Luftholen für die kurze Zeit zwischen dem Untergetauchtwerden zu finden (das ging ja ca. 25 mal am Stück so). Genauso auch das Konfirmiertwerden mit dem schnellen Aufsagen der Formeln, nur mit anderen Namen.

Da man ja auf seine eigene Taufe als was ganz besonders, Heiliges vorbereitet worden war, stand das dann schon in einem merkwürdigen Kontrast dazu und ich kann auch angesichts der langen Wartezeiten, bis man dran war und dabei nur still in den "heiligen Schriften" lesen durfte, ehrlich nicht sagen, dass es besonders toll war, obwohl ich durch die langjährige Indoktrination doch sehr versucht habe, mir das einzureden. Ich hatte auch zum Teil ein schlechtes Gewissen, wenn andere da "vergeistigt" dasaßen und anscheinend die tolle Atmosphäre genossen und es mir selbst schon zu öde geworden war.

Verwundert war ich auch über den Luxus, mit dem besonders der Frankfurter Tempel im Vergleich zum schweizer ausgestaltet war (ok, der war auch schon älter), aber gleichzeitig auch beeindruckt, soviel Gold/Vergoldungen und feines Holz und Stoffe sieht man halt auch nicht alle Tage (Über diese Beeindruckbarkeit bin ich aber nicht froh). Man war dadurch irgendwie auch stolz, mit dazuzugehören und da rein zu dürfen.

Opfer brachte ich eigentlich nicht wirklich, außer wenn man dazuzählt, dass man so ab 12, 13 auch im Hinterkopf hatte, dass das Zehntenzahlen ja auch eine Voraussetzung für den "Tempelschein" war... und natürlich der generelle Konformitätsdruck mit Kirchenveranstaltungen/Seminar, oder z. B. um das "aaronische Priestertum" zu bekommen.

Die "Würdigkeitsinterviews" waren auch für mich nicht angenehm, allein schon wegen der Situation, bei der man - allein mit der Autoritätsperson Bischof - die doch recht persönlichen Fragen beantworten musste. Ich war damals so treugläubig/-doof, dass ich das sehr ernst nahm und mir dadurch erhebliche Gewissenskonflikte bescherte und dabei wahrheitsgemäßer antwortete, als gut/akzeptabel sein konnte... Ich hatte dabei allerdings letztlich wohl noch Glück, weil die jeweiligen Bischöfe charakterlich so gefestigt waren, dass sie nicht sonderlich streng waren (wohlgemerkt aus Mormonenperspektive, aus externen Sicht sind diese ganzen Fragen ja nicht akzeptabel). Erst später als Jugendlicher machte ich mir zunehmend selbst Schwierigkeiten, in dem ich recht streng mit mir wurde. Ganz die Wahrheit hab ich aber auch nicht immer geantwortet, wohl einfach auch deswegen, weil ich ja mit den anderen Jugendlichen mitwollte und weil man auch blöd dagestanden wäre, wenn man nicht auf den Gruppentempelschein gekommen wäre...

Insgesamt war der Tempel bei weitem mehr "Schein als Sein"... auch das Verhalten manch andrer Tempelgänger trug zu diesem Eindruck bei, aber diese Erkenntnis habe ich erst rückblickend gewonnen; die Zweifel, die ich damals schon ansatzweise hatte, sind von mir meist zuverlässig unterdrückt worden.

abendrot

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