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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Samstag, den 15. November 2008, um 23:52 Uhr
Betrifft: Nachtrag: Das Gottesbild der HLT-Kirche u.a.

Lieber Björn, lieber Waldläufer und alle anderen Interessierten,

wie gesagt war ich einige Zeit buzy und konnte an den Diskussionen in diesem Forum nicht teilnehmen. Jetzt bin ich wieder da und möchte zu den verschiedenen Beiträgen (v. a. von Björn und Waldläufer), die sich um die Differenzen zwischen dem Gottesbild der HLT-Kirche und anderen christlichen Konfessionen drehen, kurz Stellung nehmen. Da ich mit meiner Rückmeldung spät dran bin und die Debatte nicht mehr aktuell ist, will ich das auf einer eher globalen anstatt auf einer spezifischen Ebene tun. Falls jemand noch über konkrete Fragen mit mir diskutieren möchte, bin ich dazu gerne bereit.

Mir ist es im Zusammenhang mit den vielen Kommentaren zum Gottesbild der HLT-Kirche und anderen christlichen Konfessionen wichtig, meinen Standpunkt als überzeugter Christ und praktizierender Mormone wie folgt zu formulieren: John Stackhouse ist Professor für „Theology and Culture“ am Regent College. In seinem Buch „Humble Apologetics: Defending the Faith Today“ schreibt er: „Jesus didn’t die on the cross to make a point. He died on the cross to save people whom he loves. We, too, must represent our Lord with love to God and our neighbor always foremost in our concerns.“ Meinem Verständnis nach ist jeder Mensch, der diesen Jesus in sein Leben aufgenommen hat und sich ernsthaft darum bemüht, seinen Lehren zu folgen, ein Christ. Das Christsein von Gläubigen, die Jesus als ihren Erlöser anerkennen, spiegelt sich meiner Auffassung nach viel stärker in deren Lebensführung als in den Details ihrer Glaubensbekenntnisse wider. Ein Mitglied der HLT-Kirche, das sich gegenüber Andersdenkenden herablassend verhält oder sie ausgrenzt, kann meines Erachtens nach nur sehr bedingt (wenn überhaupt) als Christ bezeichnet werden. Demgegenüber kann beispielsweise ein Zeuge Jehovas mit einem (durch aufrichtige Beweggründe motiviertes) Alltagsverhalten in Anlehnung an Matthäus 7:16 „gute Früchte hervorbringen“. Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas ist meiner Meinung nach nicht das beste Umfeld, um Vertrauen in das erlösende Sühnopfer Jesu aufzubauen. Ich betrachte die von meiner Kirche propagierte Lebensweise und ihre Lehren nach wie vor als den von Gott legitimierten und besten Weg, um mich Jesus zu nähern (Eigentümlichkeiten wie das Laienpriestertum, das Endowment, oder die Bekehrtentaufe sind hierbei Hilfsmittel, keine Selbstzwecke). Allerdings könnte ich den vielen Zeugen Jehovas trotz meiner Voreingenommenheit nicht per se die Berechtigung absprechen, sich als Christen zu bezeichnen. Ich bin der Ansicht, dass der Glaube an Jesus und das ehrliche Bemühen, seine Lehren zu verstehen und nach diesem Verständnis zu leben, Menschen mit und ohne formale Konfession miteinander verbindet und zu Christen macht. In der HLT-Kirche habe ich in diesem Zusammenhang besonders engagierte Mitstreiter gefunden. Es ist hierzulande meiner Erfahrung nach im Allgemeinen relativ schwer, sich als Mormone zu outen. Jede Glaubensrichtung, die außerhalb der beiden großen Landeskirchen anzusiedeln ist, wird bei uns oftmals mit Argwohn und Misstrauen betrachtet. Besonders als Mitglied der HLT-Kirche muss man schon ein sehr dickes Fell besitzen, um trotz des Unverständnisses, das einem im Umfeld vielfach entgegengebracht wird und trotz der vielen feindseligen oder verzerrten Darstellungen des eigenen Glaubens in den Medien, zu seinem Bekenntnis zu stehen. Ein Vergnügen ist das wirklich nicht. Aber gerade deswegen findet man in der HLT-Kirche meiner Ansicht nach vergleichsweise viele Menschen, deren Überzeugung kontinuierlich auf die Probe gestellt wird und die sich in ihrem Leben immer wieder an Gott wenden müssen, um eine Bestätigung ihres eingeschlagenen Lebensweges zu erhalten. Das Bemühen, die Lehren Jesu nach bestem Wissen und Gewissen zu verstehen und danach zu leben, ist hier keinesfalls kleiner als bei den meisten anderen Christen – im Gegenteil. Diese Einschätzung, zu der ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrung als Mitglied der HLT-Kirche gekommen bin, ist für mich einer von mehreren Gründen, warum ich mich dort weiterhin sehr gerne engagiere.

Was nun die Lehren meiner Glaubensgemeinschaft in Sachen Gottesbild in Abgrenzung zu anderen christlichen Konfessionen angeht, so kann ich nur sagen, dass ich aus vollstem Herzen an Gott als meinen himmlischen Vater glaube. Gott wird v. a. im Alten Testament oft als großartig und wundervoll beschrieben: „Denn der Herr ist ein großer Gott, ein großer König unter allen Göttern“ (Psalm 95:3). Ich glaube an Jesus Christus, der ebenfalls Gott ist und der, „… obwohl er der Sohn war, … durch Leiden den Gehorsam gelernt [hat]“ (Hebräer 5: 8). Jesus wurde v. a. wegen Aussagen wie der folgenden stark angefeindet und der Gotteslästerung bezichtigt: „Die Juden antworteten ihm: Wir steinigen dich nicht wegen eines guten Werkes, sondern wegen Gotteslästerung; denn du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott. Jesus erwiderte ihnen: Heißt es nicht in eurem Gesetz: Ich habe gesagt: Ihr seid Götter (Ps 82,6)?“ Ich glaube fest an die buchstäbliche Auferstehung Christi, über die es z. B. im Lukasevangelium heißt: „Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht. Bei diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Sie staunten, konnten es aber vor Freude immer noch nicht glauben. Da sagte er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen hier? Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch; er nahm es und aß es vor ihren Augen“ (Lukas 24: 39-43). Des Weiteren nehme ich keinen Anstoß an biblischen Aussagen über das menschliche Potenzial, wie es etwa von Paulus in seinem Brief an die Römer beschrieben wird: „Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden“ (Römer 8:17).

Man kann meinen Glaubensschwestern und -brüdern dennoch ein verzerrtes Gottesbild vorwerfen. Björn hat in diesem Forum kürzlich geschrieben: „Die abscheuliche Lehre, dass Gott ein Wesen aus Fleisch und Gebein sei, sich über endlose Zeitalter zu dem emporgearbeitet habe, was er heute sei, und dass der Mensch dasselbe Ziel erreichen könne, ist aus christlicher Sicht nichts als blanke Gotteslästerung, ja es ist nahezu satanisch, so etwas zu behaupten.“ So überspitzt würde ich selbst den Kern dieses Glaubensaspekts sicher nicht in Worte fassen. Und ich denke auch, dass man z. B. nach dem Lesen des Buches „Mormonism in Dialogue with Contemporary Christian Theologies“ von Donald W. Musser und David L. Paulsen ein solches Statement deutlich differenzierter und weniger provokant formulieren würde (in dem Werk diskutieren sehr angesehene Theologen verschiedener Konfessionen über das Gottesbild in der HLT-Kirche). Dennoch denke ich, dass manche Mitglieder der HLT-Kirche (ich schließe mich hier selbst mit ein) ernsthaft in sich gehen müssen, wenn der Inhalt unserer Aussagen und die Art und Weise, wie wir über Gott sprechen, zu einer Bewertung wie der von Björn Anlass gibt. Der in dem Urteil von Björn zum Ausdruck kommende Vorwurf ist ja nicht neu und wird von verschiedener Seite immer wieder vorgebracht. Meiner Ansicht nach können viele Mitglieder der HLT-Kirche (ich schließe mich hier wieder selbst mit ein) von anderen Christen Einiges in Sachen Bewunderung für und Achtung vor Gott lernen. Wir erwecken vielleicht allzu oft den Eindruck, als ob wir den totalen Durchblick hätten und bringen in unseren Aussagen über Gott manchmal zu wenig Ehrfurcht, Bewunderung und Stauen vor dem Unbeschreiblichen zum Ausdruck. Das wirkt bestimmt häufig arrogant und technokratisch. Allerdings besteht zu dieser Überheblichkeit nicht der geringste Anlass. Die HLT-Kirche hat mehr als genug vor ihrer eigenen Türe zu kehren. Die Lehren haben sich erst nach und nach entwickelt, mussten vielfach revidiert werden und oft sind selbst Propheten und Apostel mit ihren Interpretationen bestimmter Schriftstellen über das Ziel hinausgeschossen. Wir haben als Mormonen nicht den kompletten Durchblick, wir können nur gemeinsam mit anderen Christen auf das erlösende Sühnopfer Jesu hoffen, der, wie es John Stackhouse so toll formulierte, … didn‘t die on the cross to make a point. He died on the cross to save people whom he loves (s. o.)” Diese Liebe und die Gnade Gottes werden alle Menschen erlösen, die ehrlich versuchen, das Evangelium Jesu Christi nach bestem Wissen und Gewissen zu verstehen und danach zu leben. Wie gesagt bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass mein Weg innerhalb der HLT-Kirche der beste Weg ist, um Jesus nachzufolgen. Craig Blomberg und Stephen Robinson veröffentlichten 1997 das Buch „How Wide the Divide?: A Mormon & an Evangelical in Conversation”. Wenn ich mich richtig erinnere, fragte Craig (kein Mormone) Stephen (ein Mormone) einmal, ob er seine Kirche denn als die einzig wahre bezeichnen würde. Stephen antwortete ihm, dass Craig seiner Auffassung nach eine 80 Watt-Glühbirne wäre, während er als Mitglied der HLT-Kirche eine 100 Watt-Glühbirne sei. Ich bin nicht so überheblich und würde so etwas z. B. nie über Waldläufer oder Björn sagen. Für mich sind beide als wiedergeborene Christen mindestens 90 Watt-Glühbirnen. Das war jetzt natürlich ein Witz, aber was ich damit sagen will, ist hoffentlich klar: Wir haben unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich einiger Glaubensaspekte und sind von unseren jeweiligen Interpretationen der Lehren Christi überzeugt. Das ist völlig in Ordnung. Man kann unsere Differenzen entweder extrem kontrastieren oder die Gemeinsamkeiten betonen. Obwohl ich zu meinem Glauben stehe, ist mir die zweite Option lieber. Viele Christen glauben an die Dreieinigkeit, Mitglieder der HLT-Kirche tun dies heutzutage mehrheitlich nicht. Wie wichtig ist diese Frage im Vergleich zur „Christlichkeit“ des alltäglichen Verhaltens? Sie ist meiner Ansicht nach relativ nebensächlich. Das Wesen Gottes bleibt in jedem Fall ein Wunder und man kann es mit dem menschlichen Verstand nie voll begreifen. Wir müssen alle voneinander lernen, indem wir uns zuhören und versuchen, uns zu verstehen. Mir haben die Diskussionen in diesem Forum über die Jahwe, Jehova und die Dreifaltigkeit jedenfalls interessante Einblicke ermöglicht. Auch Debatten mit vielen Ex-Mormonen, die keine Christen mehr sind, finde ich spannend. Mich interessiert, was Menschen von der HLT-Kirche abgestoßen hat und wie sie heute denken. Dadurch ergeben sich für mich jedesmal neue Fragen, die mich beschäftigen und auf die ich von alleine nie gekommen wäre.

In diesem Sinne wünsche ich einen schönen Sonntag.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

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