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Verfasser: Gipfelstürmer Datum: Samstag, den 1. November 2008, um 11:30 Uhr Betrifft: Prüfs einfach selbst nach
Hallo Björn,
vielen Dank für Deine netten Worte, über die ich mich sehr gefreut habe. Ich denke, es kann bei der Beurteilung eines Glaubenssystems recht schnell passieren, dass man âmit Entsetzenâ eine Bestätigung für seine Befürchtungen erhält. Wie ist das bei den evangelikalen Christen? Man könnte überspitzt formulieren, dass sie sich ja nur zu Jesus bekennen müssten (zur Not noch schnell auf dem Sterbebett) und ansonsten machen könnten, was sie wollten (frei nach dem Lied âBorn again and free from sin, never have to work againâ). Wenn man einen Beleg für diese Einstellung im Dialog mit einem evangelikalen Christen finden möchte, dann gäbe es sicher Gesprächspartner, bei denen dies möglich wäre. HeiÃt das aber, dass der eben angesprochene Glaubensgrundsatz genauso gemeint war, wie ich ihn verstanden habe? Ich habe mit âwiedergeborenenâ Christen jedenfalls die folgende Erfahrung gemacht: Wenn man sich ernsthaft mit kompetenten Vertretern der Zunft befasst, dann wird das Bild deutlich differenzierter.
Wie ist das mit der HLT-Kirche? Hat Joseph Smith wirklich die Aussage getätigt âWie der Mensch ist, war Gott einst. Wie Gott ist, kann der Mensch einst werdenâ? Ja, das kann ich bestätigen und damit Erstaunen und Entsetzen auslösen. HeiÃt das aber, dass Gott nicht ewig, nicht allmächtig und lediglich ein erhöhtes menschliches Wesen ist? Ganz und gar nicht! Die HLT-Kirche wird meinem Eindruck nach im Wesentlichen für Aussagen und MeinungsäuÃerungen von Verantwortungsträgern kritisiert, die diese meistens vor sehr langer Zeit von sich gegeben haben, über die oft keine weiterführenden Erläuterungen vorliegen (so dass man nur darüber spekulieren kann, was genau gemeint war) und die keine Rolle im alltäglichen Leben ihrer Mitglieder spielen (oder die mittlerweile sogar längst explizit verworfen wurden). Kaum jemand greift uns aufgrund unseres Glaubens an Gott, an das Sühnopfer Jesu, an die buchstäbliche Auferstehung Jesu oder an die Gabe des Heiligen Geistes an. Ãber das von Dir erwähnte Statement, âWie der Mensch ist, war Gott einst â¦â, ist v. a. auÃerhalb der HLT-Kirche viel diskutiert worden. Tatsächlich haben Joseph Smith und Lorenzo Snow etwas in dieser Richtung gesagt, analoge Formulierungen von anderen Propheten und Aposteln sind mir jedoch nicht bekannt. Ich persönlich nehme keinen Anstoà an der Aussage, dass Gott in Form von Jesus menschliche Gestalt annahm und am dritten Tage von den Toten auferstanden ist. Insofern war Gott einst wie wir â und wir werden eines Tages auferstehen (so wie Er) und können möglicherweise das erwarten, was in Römer 8:17 angekündigt wird: âSind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.â Die Auslegung, Gott sei nicht ewig, nicht allmächtig und lediglich ein erhöhtes menschliches Wesen, teile ich nicht. Das ist eine verkürzte, irreführende, ja sogar falsche Schlussfolgerung. Wir sind zwar Kinder Gottes und âGott schuf ⦠den Menschen als sein Abbild â¦â (Genesis 1:27), aber diese Interpretation geht viel zu weit. Du schreibst, dass Du über â⦠die Herabsetzung der Göttlichkeit Christiâ in mehreren Büchern gelesen hättest. Das waren bestimmt keine Werke von meinungsführenden Theologen der HLT-Kirche. Oder irre ich mich hier?
Okay, mach Dir einfach selbst einen Eindruck von den HLT-Lehren. Und behalte dabei im Kopf, dass diese Glaubensgemeinschaft theologisch ungebildete Jungs und Mädchen in die Welt geschickt, um die Wiederherstellung zu verkünden. Das ist aus meiner Sicht okay, denn die Sache verhält sich so, wie Du es kürzlich geschrieben hast: âEs geht letztlich nicht um eifrige Mission i. S. v. Redegewandtheit, Wissen und Rhetorik, sondern um die Wahrheit.â Auf meiner eigenen Mission habe ich oftmals die Grundsatz gehört: âEs geht bei unserer Arbeit darum, Seelen zu Christus zu führen â und wenn es sich hierbei auch ânurâ um die eigene handeltâ (durch ein besseres Verhältnis zu unserem Erlöser). Deswegen finde ich es gut, wenn Du das Gottvertrauen Deiner Missionare stärken willst. Aber gestehe ihnen zu, ab und zu etwas Dummes zu sagen (v. a. wenn sie mit Themen konfrontiert werden, die für sie im religiösen Alltag bislang keine Rolle gespielt oder mit denen sie sich noch zu wenig beschäftigt haben).
Falls Du Dich mit den Glaubensinhalten der HLT-Kirche noch ein wenig befassen willst (aus welchen Gründen auch immer), dann suche Dir am besten die Lehren heraus, die Dir am seltsamsten vorkommen und stelle Dir die folgenden Fragen: (1) Findet sich diese Lehre in den 4 Standardwerken wieder (Bibel, Buch Mormon, Lehre und Bündnisse, Köstliche Perle)?, (2) Wird sie in offiziellen Proklamationen oder Deklarationen verkündet?, (3) Wird sie von heutigen Verantwortungsträgern in Generalkonferenzen oder in anderen offiziellen Versammlungen propagiert?, (4) Findet sie sich in Handbüchern oder Unterrichtsleitfäden wieder?, (5) Wird sie in den offiziellen Zeitschriften thematisiert? Viele Informationen sind über das Internet ja problemlos zugänglich. Wenn Du alle Fragen verneinen musst und Du Stellungnahmen zu den betreffenden Lehren bestenfalls von ganz wenigen individuellen Mitgliedern (wenn überhaupt) und ansonsten nur von Menschen auÃerhalb der HLT-Kirche aufschnappst, dann kannst Du sie entsprechend einordnen. Ich denke, jede Gemeinschaft, in der sich Menschen bemühen, ein gottgefälliges Leben zu führen, die humanitäre Dienste leistet, die Seelsorge betreibt und die sich nicht abschottet, hat bei ihrer Beurteilung eine faire Chance verdient. Wenn man etwas mehr über die heutige römisch-katholische Kirche erfahren möchte, wäre es unangemessen, sich ausschlieÃlich mit ihren Gräueltaten während der Kreuzzüge und der Inquisition zu befassen. Wenn man die heutigen Protestanten besser kennen lernen will, dann sollte man sich vielleicht nicht nur den antisemitischen Schriften von Martin Luther widmen. Ich habe das evangelikale Christentum etwas besser kennen und schätzen gelernt, indem ich inspirierende Bücher von verschiedenen Vertretern dieser theologischen Richtung gelesen habe.
Aber gut, ich muss Dir sicher keine Ratschläge geben. Du bist Christ. âIch habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber lieà wachsenâ (1. Korinther 3:6). Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass Gott unseren Verstand erweitern und uns dorthin führen wird, wo wir sein sollen, so lange wir unser Leben in Seine Hände legen. Wenn es Dir gelingt, das Gottvertrauen bei Deinen Missionaren ein bisschen zu stärken, dann hat der Dialog schon einen sehr wichtigen Sinn gehabt. Für mich sind auch die Auseinandersetzungen mit Deinen Ausführungen wichtig, weil es mir hilft, in meinem Glaubenssystem nicht âeinzurostenâ.
Viele GrüÃe und auch Dir Gottes Segen
Gipfelstürmer