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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Freitag, den 31. Oktober 2008, um 9:28 Uhr
Betrifft: "Mein" Jesus ist super!

Hallo Björn,

vielen Dank für Deine ausführliche Reaktion. Ich habe mich einerseits gefreut, dass Du so ausgiebig auf mich eingegangen bist, andererseits habe ich mich nach dem Lesen auch etwas ratlos gefühlt . Meinem Eindruck nach ist es oft echt schwierig, als Mitglied der HLT-Kirche als Experte für seinen eigenen Glauben gelten zu dürfen. Normalerweise ist es selbstverständlich, dass niemand auf der Welt besser weiß als ich selbst, was ich denke, fühle oder glaube. Sobald man sich jedoch zur HLT-Kirche bekennt, wird’s schwierig. Das gilt meinem Eindruck nach oft sowohl für Individuen als auch für das Kollektiv der Mitglieder. Wenn ich selbst das Wesen Jesu beschreiben sollte, so würde dieses Bild sehr viel anders aussehen als das, mit dem Du Deine Sichtweise in Deinen Ausführungen kontrastierst. Ich kann mir nicht helfen, aber wenn ich am Sonntag in die Kirche gehe, den Liahona lese oder die Generalkonferenz verfolge, dann begegnet mir dieser angeblich „mormonische“ Jesus einfach nicht. Ich bekomme nichts davon mit, dass die „Gottheit Jesu Christi“ geleugnet oder dass Er anstatt als „höchstes Wesen“ als „fleischliches Geschöpf“ betrachtet wird – im Gegenteil.

Es ist sicher kein Problem, ein paar alte Äußerungen von Brigham Young, Orson Pratt, Orson Hyde und anderen Persönlichkeiten zu finden, die aus heutiger Sicht befremdlich anmuten. Genauso leicht wäre es möglich, einige extrem rassistische Hetzparolen anzuführen, die von führenden Protagonisten der „Southern Baptists“ zur Zeit das amerikanischen Bürgerkriegs verbreitet wurden, um die Sklaverei zu rechtfertigen. Ich vermute mal, dass Du im weitesten Sinne ein evangelikaler Christ bist. Trotzdem gehe ich nicht davon aus, dass Dein Jesusbild stark von diesen rassistischen Vorurteilen geprägt ist und dass man Dich deswegen nicht mit gutem Gewissen als Christen bezeichnen darf. Wenn ich heute etwas über Jesus von evangelikalen Autoren wie Lee Strobel („Warum?: Wie kann ein liebender Gott Leid zulassen?“) oder Ravi Zacharias („Jesus - der einzig wahre Gott?“) lese, dann wird Jesus dort (natürlich) freundlich, liebend, vergebend und erlösend dargestellt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Du Deine Ansichten über das Christusbild der HLT-Kirche nach dem Studium zeitgenössischer Literatur zu diesem Thema von HLT-Theologen wie David L. Paulsen („Mormonism in Dialogue with Contemporary Christian Theologies“) oder Robert L. Millet („A different Jesus?“) unverändert beibehalten würdest. Über die Unterschiede zwischen Deinem und meinem Glauben schreibst Du: „Allerdings glaube ich an einen Christus, der von Ewigkeit her Gott ist – im Wesen und Vorsatz eins mit dem Vater (Johannes 1, 1-3. 14. 18; 10, 30; 14, 9; 20, 28). Gerade diese wichtige und für das ewige Heil des Menschen notwendige Wahrheit – die ewige Göttlichkeit Christi – wird von den Mormonen bestritten, womit wir nicht an denselben Heiland glauben.“

Was soll ich dazu sagen? Ich glaube aus vollstem Herzen an Jesus und bin der Überzeugung, dass er von Ewigkeit her Gott ist. Ich schlage das Buch Mormon auf und lese sofort auf der ersten Seite, dass der Zweck dieses Werkes darin besteht, davon zu überzeugen, dass „… Jesus der Christus ist, der ewige Gott“. In dem Werk selber wird Jesus ständig als „Allmächtiger“, „allmächtiger Gott“, „ewiger Vater“, „ewiger Gott“, „immerwährender Vater“, „immerwährender Gott“, „Vater des Himmels und der Erde“, „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“, „König des Himmels“, „allerhöchster Gott“, „der Herr Gott, der Allmächtige“ usw. bezeichnet. Jesus ist ohne Zweifel Gott und kein „fleischliches Geschöpf“. Wäre es anders, könnte er uns nicht erlösen. Davon bin ich absolut überzeugt. Natürlich haben Mitglieder der HLT-Kirche und evangelikale Christen in vielen Fragen unterschiedliche Meinungen. Ich glaube z. B., dass eine Wiederherstellung des Evangeliums Jesu Christi notwendig war – Du wirst diese Ansicht vermutlich nicht teilen. Das ist okay und man kann darüber diskutieren. Ich finde es aber wichtig, nur die Differenzen klar zu markieren, die auch tatsächlich bestehen. Mir persönlich tut es weh, wenn eine Unterscheidung zwischen „Christen“ und „Mormonen“ getroffen wird. Ein Christ ist meiner Auffassung nach ein Mensch, der sich zu Jesus bekennt und ihn als persönlichen Erlöser anerkennt. Das tue ich. Du tust es auch. Das macht uns aus beide zu Christen. Unsere Gottesbilder sind nicht völlig deckungsgleich. Aber ich will nicht, dass „Dein“ Jesus in einem wundervoll strahlenden Licht dasteht, während „mein“ Jesus schlecht gemacht wird. Dir würde das umgekehrt vermutlich auch nicht gefallen. „Mein“ Jesus ist genauso göttlich, genauso großartig, genauso vergebungsbereit wie „Deiner“ und er hat mich genauso von meinen Sünden erlöst wie Dich von Deinen. Denn es handelt sich um ein und den selben Christus.

Richard J. Mouw ist der derzeitige Präsident des Fuller Theological Seminarys („the largest multi-denominational seminary in the world“). Von ihm stammt die folgende Aussage (nachzulesen unter http://en.wikipedia.org/wiki/Richard_Mouw): „I know that I have learned much in this continuing dialogue, and I am now convinced that we evangelicals have often seriously misrepresented the beliefs and practices of the Mormon community. Indeed, let me state it bluntly to the LDS folks here this evening: we have sinned against you. The God of the Scriptures makes it clear that it is a terrible thing to bear false witness against our neighbors, and we have been guilty of that sort of transgression in things we have said about you. We have told you what you believe without making a sincere effort first of all to ask you what you believe.” Es ist aus meiner Sicht sehr leicht, zahllose Belege für die von Richard Mouw getroffene Einschätzung zu liefern. Und das verletzt mich. Ich möchte nicht immer wieder mit Lehren konfrontiert werden, die von Menschen außerhalb meiner Konfession mitunter als Grundpfeiler unseres Glaubens „verkauft“ werden, nur weil sich einige wenige Kirchenführer in der Vergangenheit dazu in unglücklicher Weise geäußert haben. Auf den Vorwurf, Mitglieder der HLT-Kirche würden daran glauben, dass Gott Vater und Maria miteinander Sex gehabt hätten, schreibt Robert Millet in seinem Buch „Briding the Devide“: „I’m aware of that teaching, but that is not the doctrine oft he Church; that is not what we teach in the Church today. Have you ever heard the Brethren teach it in conference? Is it in the standard works, the curriculum materials, or the handbooks of the Church? Is it part of an official declaration or proclamation?“ Ich finde es schwierig, wenn wir als Mitglieder der HLT-Kirche nicht selbst als Experten für unseren eigenen Glauben ernst genommen werden.

Meinem Eindruck nach ist die Kluft zwischen Deinem Glauben und dem der Mitglieder der HLT-Kirche aus Deiner Sicht deswegen so groß, weil Du ein anderes „mormonisches“ Jesusbild zeichnest als das, welches in unseren Heiligen Schriften, in heutigen Generalkonferenzansprachen oder in aktuellen Leitfäden mehrheitlich propagiert wird. Ich glaube an Jesus Christus. Er ist ewiger Gott und mein persönlicher Erlöser. Ohne seine Gnade wäre ich verloren. Kein äußeres Zeichen (z. B. Taufe, Ordinierung zum Priestertum, Endowment), „berechtigt“ mich dazu, in den Himmel zu dürfen. Allein Jesus ist vollkommen und nur durch Ihn können wir vollkommen werden. Diese Überzeugung liegt absolut im heutigen Mainstream innerhalb der HLT-Kirche und sie lässt sich anhand zahlloser „mormonischer“ Quellen stützen. Natürlich findet man innerhalb meiner Glaubensgemeinschaft auch abweichende Auffassungen. Und vielleicht trifft das gerade auf Deine Missionare zu. Allerdings würde ich die Missionare als das sehen, was sie sind: Junge Männer ohne nennenswerte theologische Vorbildung, die Dir in Sachen Schriftenverständnis und Allgemeinwissen hoffnungslos unterlegen sind. Man findet unter evangelikalen Christen auch heute noch Rassisten (v.a. in den USA). Trotzdem bin ich mir sicher, dass Du Dich von deren Zielen deutlich distanzierst und deren Einstellungen nicht in Dein Jesusbild integrierst. Ebenso deutlich distanziere ich mich von einigen in Deinen Ausführungen genannten (vermeintlichen) Lehren der HLT-Kirche über das Wesen Christi und propagiere stattdessen ein mit der HLT-Theologie konformes Bild von Jesus als Gott und Erlöser.

Jesus ist der Herr. Alle Menschen sind Kinder Gottes und damit Schwestern und Brüder. Unsere gemeinsame Verpflichtung als Christen besteht darin, Menschen zu Jesus zu führen und Seine Liebe weiterzugeben. Als Leitlinie können uns dabei die Worte von Franz von Assisi dienen: „Predigt das Evangelium. Wenn nötig, dann verwendet Worte dazu.”

So, jetzt hab ich mir Einiges von der Seele geschrieben. Aber ich finde es wichtig, sich als Christen unterschiedlicher Konfessionen besser als bisher zu verstehen und die Gräben zu überwinden. Und mich begeistert die Vision von mehr Gemeinsamkeit. Ich will kein evangelikaler Christ werden und möchte mich nirgends anbiedern. Dennoch finde ich viel Bewunderswertes bei Christen anderer Konfessionen.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

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