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zum Thema Fiktion hält den Spiegel der Wahrheit gnadenlos vor Augen
Seite erstellt am 28.3.24 um 23:52 Uhr
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Verfasser: Gunar
Datum: Montag, den 7. Mai 2001, um 21:37 Uhr
Betrifft: Fiktion hält den Spiegel der Wahrheit gnadenlos vor Augen

Der Tagesspiegel
Nachrichten : Kultur
8.05.2001

Hamburger Kammerspiele

Die Scheinheiligen der letzten Tage

Mörder-Monologe: Peter Zadek inszeniert "Bash" von Neil LaBute

Ulrike Kahle

Da sitzen sie und plaudern ins Publikum, vier junge Leute, amerikanische Mittelschicht, nett und adrett, drei von ihnen haben einen Mord begangen, das erfährt man ganz nebenbei. Großer Premierenauftrieb in Hamburg: Endlich mal wieder Star-Theater mit Star-Regisseur, in bewährter Kombination der kleinen, rührigen Hamburger Kammerspiele mit den Wiener Festwochen, dazu die Ruhrfestspiele und das Deutsche Theater Berlin. Dort wird Zadeks jüngste Arbeit in der nächsten Spielzeit zu sehen sein.

Peter Zadek, mit Ibsens "Rosmersholm" eingeladen zum Berliner Theatertreffen, demnächst 75, ewig jung und neugierig, interessieren nicht nur Ibsen und Shakespeare, sondern genauso junge Autoren. Vor zwei Jahren inszenierte er die erbarmungslos rätselvolle Parabel "Gesäubert" von Sarah Kane. Nun, in deutschsprachiger Erstaufführung, "Bash". Neil LaBute ist amerikanischer Filmregisseur und Drehbuchschreiber, außerdem Mormone: Die jungen Leute in seinen Stücken sind auch Mormonen, Mormonen und Mörder, beides erfährt man eher nebenbei. Vor allem sind sie oberflächlich, brutal, ichbezogen, ohne eigene Haltung und Moral. Verloren, allein gelassen irgendwo im luftleeren Raum, zwischen Safeway und Bibel, plappern sie nach, was sie so mitkriegen von der kriegerischen Businesswelt, vom Fernsehen, von der Gemeinde.

Nicht sehr theatralisch, diese "Stücke der letzten Tage". Drei Beichten, ein Triptychon: zwei Monologe umrahmen ein Duett. Ben Becker hat den schwersten Part. Er muss mit einem 45minüten Monolog beginnen und dabei ein fiktives Gegenüber anreden, in einem Hotelzimmer; sitzt nur und redet. Ein Geschäftsmann aus Salt Lake City, der Mormonen-Hochburg in Utah. Gedeckter Anzug, trinkt nur Wasser, redet ab und zu von der Gemeinde. Vor allem redet er aber von seinem Job und der Konkurrenz besonders durch diese karrierebewussten jungen Frauen "mit Hosenanzug und Kurzhaarschnitt. "Sie wissen, was ich meine". Schwerer Fall von Chauvinismus.

Obwohl man den Eindruck hat, Ben Becker könnte das noch viel besser spielen, nicht so blass und gewollt zurückhaltend, fesselt seine Geschichte mit makabrer Schlusspointe: Der Tod seiner neugeborenen Tocher war kein Ungücksfall, er hat sie umgebracht. Ein bißchen tiefer unters schwere Plumeau geschubst, unter das sie sich verkrochen hatte. Einfach so. Weil er glaubte, seinen Job verloren zu haben. Um Mitleid zu erregen und so den Job zu behalten. Tochter-Opfer.

Nicht umsonst heißt dieser Teil "Iphigenie in Orem". Denn diese drei Geschichten von alltäglichen jungen Leuten, die Situationen aus ihrem Leben gern mit Spielfilmen und Serien aus dem Fernsehn vergleichen, haben die Wucht der griechischen Tragödie. Im Mittelteil "Eine Meute von Heiligen" plappern Sue und John nebeneinander her von einem Fest in New York. Studenten aus Boston, aberwitzig kleinkariert, spießig, äußerlich. Wie sie über Autos reden, die Fahrt, den Smoking, das Ballkleid - nur nicht verknittern! Uwe Bohm und Judith Engel spielen bravourös das bornierte junge Paar: sie ganz in sanft-pastelligen Bonbonfarben, ein magersüchtitges Zuckerpüppchen, das ganz auf kindlich macht und auf kokett, er ein toller Hecht, ein ganzer Kerl, Medizinstudent, ganz und gar seiner schönen Sue ergeben. Amerikanische Bigotterie: Das trieft nur so von Scheinheiligkeit, ein scharfes, bitterböses Kabinettstückchen. Schon bei ihrem ersten Kennenlernen wird John gewalttätig, schlägt brutal Sues ersten Freund mit dem Kopf zu Boden, wieder und wieder, und lässt ihn liegen.

Doch Sue übergeht das einfach, sieht nur das Süße, Romantische ihres Beginns. Und in New York, während sie im Plaza schläft nach der wundervollen Mormomen-Party, bringen John und zwei Freunde mal eben einen Homosexuellen um. Das geht doch nicht, zwei erwachsene Männer, die sich küssen mitten im Park, wie Romeo und Julia oder wie in diesem Film, "müssen wir uns sowas angucken?" Das ist absolut gruselig: Er erzählt den Mord, sie hört nicht hin, ein Horror-Paar ganz von heute, das seine Abgründe verdeckt mit einer süßlichen Zuckerschicht aus übertriebenem Turteln und scheinbarer Rechtschaffenheit.

Der dritte Teil ist wieder ein Monolog. Judith Engel spricht auf einen Kassettenrecorder, vermutlich in einer Klinik, das Fenster hinter ihr ist vergittert. Sie erzählt von der Liebe einer dreizehnjährigen Schülerin zu ihrem Lehrer, die ergreifende Geschichte eines tiefen Gefühls, eines unauslöschlichen Eindrucks. Sie wird schwanger, mit vierzehn, verspricht, ihn nie zu verraten, und er haut ab, lässt sie sitzen. Geht an eine andere Schule, heiratet, keine Kinder. Ihre Rache wird furchtbar sein. Sie hält brieflichen Kontakt mit ihm, hält sein Interesse an dem unbekannten Sohn wach und besucht ihn schließlich, nur für dieses eine Mal, mit dem vierzehnjährigen Sohn. Sieht seine Zuneigung zu dem Sohn und seine Zufriedenheit, dass er davongekommen ist. Sie tötet den Sohn.

Wieder Judith Engel: Als moderne Medea ist sie völlig verändert, naiv, aufrichtig und sehr intensiv. Unglaublich berührend, wie durch ihre Haltung, ihre Töne, das, was ihr geschehen ist, ihre wunderschöne Liebesgeschichte als ungeheures Unrecht deutlich wird. Wie weiches Wachs war sie, ein Kind, freudig ausgeliefert dem erwachsenen Verführer, der ihr seinen Stempel aufdrückte, sie prägte, mit seiner Vorliebe für Billie Holiday sowie griechische Mythen und Philosophie. Die griechischen Sagen hat er ihr geschenkt und ihr den Begriff "Adakia" beigebracht, das heißt "die Welt ist aus dem Lot" durch die Schuld der Sterblichen. Er hat sie für immer aus dem Lot gebracht durch seine Schuld. Ihre Rache nimmt sie im griechischen Stil.

Drei außerordentlich gut gebaute Geschichten, im plötzlich wieder modernen Theater-Minimalismus. Menschen erzählen. Basta. Die Bilder müssen im eigenen Kopf entstehen. Regisseur Peter Zadek hält sich zurück, lässt Geschichten und Schauspieler sprechen, ganz einfach. Und das Drama entsteht.

http://195.170.124.152/archiv/2001/05/07/ak-ku-5513658.html

Hamburger Morgenpost
Dienstag, 8.5.2001
Hamburg
Kultur & Pop

Nichts für schwache Nerven: Peter Zadeks großartige "Bash"-Inszenierung an den Kammerspielen

Drei Blicke auf das ganz normale Grauen

An den Hamburger Kammerspielen war die Bude voll. Der Anlass: die deutschsprachige Erstaufführung von Neil LaButes Stück "Bash" unter der Regie von Großmeister Peter Zadek. Die Promis standen sich auf den Füßen - von Udo Lindenberg bis hin zu Hark Bohm. Der schaute sich an, was Sohn Uwe mit seinen Schauspieler-Kollegen Ben Becker und Judith Engel auf die Bühne stellte.

Als erster musste Becker ran. Der Monolog eines Geschäftsmannes im mittleren Management. Der Schauspieler sitzt im Stuhl, ein Glas Wasser in der Hand. Der Mann plaudert drauflos mit einem imaginären Gegenüber oder auch mit den Zuschauern. Redet vom Job, von der Familie. Harmlos. Doch irgend etwas lauert in ihm. Unruhig rutscht er auf dem Stuhl hin und her, zupft sich das Jackett zurecht. Und unversehens lässt er ein Mordgeständnis in den Saal fallen: Er sah zu, wie seine kleine Tochter unter die Bettdecke krabbelte und schubste sie "bloß so ein bisschen weiter runter". Das Baby erstickte. Der Grund? Vielleicht, weil der Mann Gefahr lief, seinen Job zu verlieren. Vielleicht, weil er sich "eine Gelegenheit nicht entgehen lassen" wollte.

LaButes Drama ist sprachlicher Hardcore und nichts für schwache Nerven. In all seinen Figuren steckt das Böse wie eine Geschwulst, die plötzlich platzt. Alle haben getötet. Der Mormone (Uwe Bohm), der mit Freunden einen Homosexuellen erschlägt. Die junge Mutter (herausragend: Judith Engel), vom Lehrer geschwängert und dann sitzengelassen, eine moderne Medea, die ihrem Sohn das Radio ins Badewasser wirft. Einen Grund für ihre Morde gibt es nicht. Ihre Welt ist kurz aus dem Lot geraten, und da werden sie schuldig, als hätten sie nie eine andere Möglichkeit gehabt. Insoweit ist LaBute moralisch, ohne zu moralisieren.

Auch Peter Zadek lässt den Zeigefinger unten. Mit leichter Hand führt er uns an den Abgrund und lässt uns bang hinunterschauen. Was wir sehen, ist das ganz normale Grauen. Der Regisseur vertraut auf den Text und auf seine exzellenten Schauspieler. Die sitzen und reden, halten Monologe, machen Geständnisse. Sie schreien nicht, sie toben nicht. Vor allem Judith Engel beherrscht die kleinen Gesten: ein Schneuzen ins Taschentuch, Finger, die über ein Knie streichen, ein Blick, der fahrig in die Erinnerung zurück reist. Schauspieler-Theater der Extraklasse - präsentiert von Peter dem Großen. Dafür gab es jede Menge Jubel und Applaus. Die Theaterwelt der Hamburger ist vorerst wieder in Ordnung.

Susann Oberacker

http://archiv.mopo.de/scripts/show.phtml?pfad=/archiv/2001/20010508/20010508122.html&drucken=yes

taz, die tageszeitung
8.5.2001
Seite 14

Broadway bei Seegang

Theater der Verzweiflung oder amerikanische Benefiz-Gala mit zu viel falschen Tränen? In Hamburg hatte Neil LaButes mörderisches Bekenntnisstück "Bash" in der Regie von Peter Zadek Premiere

von KEES WARTBURG

Mord an Wehrlosen ist ne scheußliche Sache. Säuglinge, Kinder, drei gegen einen. Diese Motive bringen die Gefühle zum Dröhnen. Das kann man kalkulieren. Da arbeitet die Psychomotorik wie bestellt, Empörung inklusive. Doch was dann? Was treibe ich als Autor mit diesem Affekt? Will ich im Geiste Schillers Verständnis konstruieren oder in der Nachfolge Bret Easton Ellis’ mit dem kalten Exzess aufklären? Will ich einen neuen Kirchturm aufrichten oder als Fatalist versteckt an das Herz appellieren? Oder will ich vielleicht nur brillieren?

Neil LaBute, dessen schräge Komödie "Nurse Betty" gerade erst in den Kinos zu sehen war, hat auf jeden Fall ein sehr amerikanisches Stück über die tödlichen Blüten der Verzweiflung geschrieben. Vier Menschen beichten drei Morde, "Bash" heißt es. Ein elegantes Wortspiel, natürlich. Denn Bash heißt sowohl Party als auch Prügel und mit dem Appendix -ful auch noch verschämt. Als Gay-Bashing wurde es auch hier zu Lande bekannt - und genau darum geht es im Herzstück dieser kleinen Kammerspieltrilogie.

Ein paar fröhliche Mormonen auf Party in New York. Nett, adrett, gut angezogen amüsieren sie sich im Plaza-Hotel, bis zu später Stunde ein paar Jungs raus in den Central Park streunen und auf ein schwules Pärchen stoßen. Von gierigem Ekel angefixt schlagen sie einen der beiden auf einer öffentlichen Toilette tot. Und als kleinen perversen Triumph klaut der Anführer der Leiche einen goldenen Ring und schenkt ihn seiner Freundin als Siegel ihrer großen Liebe.

Hier soll es einen schaudern und das tut es auch pflichtgemäß. Denn Neil LaButes Dramaturgie ist einfach zu fixiert auf Pointen, zu herrlich durchkomponiert, ein zu schön gemeißeltes Beichtendrama, das jeweils von Mitleid zu Grauen hingedrechselt ist, um nicht von einem Boulevardtheater des Todes zu reden.

Das gilt insbesondere für den dritten Teil, in dem eine Mutter erzählt, warum sie ihren Sohn umgebracht hat. Hier, wo es um das verzweifelte Verhältnis einer Schülerin zu ihrem Lehrer geht, ist alles durchtränkt von einer sturen Wassermetapher. Er nähert sich ihr im Aquarium, er schwängert sie in einem Boot auf dem Michigansee, sie ist "Fische", sie wollte immer Meeresbiologin werden, sie liebt die Brandung, und sie tötet ihren Sohn in der Badewanne, vierzehnjährig so wie sie, als sie von dem Lehrer geschwängert wurde, und trinkt dabei Wasser, Wasser, Wasser. Das ist dann doch alles ein bisschen zu herrlich ausgedacht, um mehr zu sein als Broadway bei Seegang.

Und Peter Zadek? Der bald fünfundsiebzigjährige Halbstarke, den die Alten immer noch lieben und die Jungen nicht attackieren, schaut frisch und fröhlich auf die Welt und nimmt die Steilvorlage für ein prasselndes Schauspielertheater dankbar an. Er holt Ben Becker, der sich bei seinen ersten Bühnenauftritten am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg vor vielen Jahren den Kritikerstempel "schlechtester Schauspieler der Welt" erwarb; jetzt bringt er allerdings vierzig Minuten mörderische Biederkeit im Solo über die Rampe.

Mit Uwe Bohm holt sich Zadek dazu noch ein Fernsehgesicht, das sich alle professionelle Mühe gibt, um ein ausgepustetes amerikanisches College-Ei mit sportlich zappelnden Muskeln überzeugend zu geben. Und schickt schließlich zum Finale Judith Engel, eine der besten Schauspielerinnen weit und breit, an einen kleinen Tisch, um mit aller erdenklichen Brillanz die Verwirrung der Welten einer Mutter im Kindesalter auszuagieren.

Da ist es wieder, das böse Wort: Brillanz. Will man wirklich, dass ein Saal voll mit Udo Lindenbergs, Hark Bohms, Burkhard Driests und Hellmuth Karaseks jubelt und tobt, wenn auf der Bühne gerade die kaputtesten Biografien ever ausgebreitet wurden? Ist die elegante Lässigkeit, mit der hier Grauen unter dem Plakat "Bash is everywhere" zelebriert wird, nicht so durchschaubar reine Show, dass man lieber darüber nachdenkt, wie das Verhältnis von lebenden Menschen und begangenen Gräueltaten tatsächlich ist? Sehnt man sich nach American Psycho, Pulp Fiction und Frank Schmökel wirklich noch nach Kindsmord als kultivierte Abendveranstaltung unter Kapitelüberschriften wie "Iphigenie in orem" oder "Medea redux"? Vor allem, wenn das Ganze noch der moralischen Wachrüttelung dienen soll?

Das sind alles rhetorische Fragen, zugegeben. Aber wenn das vermeintlich Aufklärerische sich zu eitel spreizt, wird man leicht spöttisch. Dann fühlt man sich plötzlich versetzt in eine amerikanische Benefizgala mit all ihren falschen Tränen und fragt sich, warum der traurige Anlass so überhaupt nicht zu spüren ist. Und so geht es einem dann auch bei "Bash": "Kindsmord. Ja, schrecklich. Aber Ben Becker heute Abend - wirklich brillant."

http://www.taz.de/tpl/2001/05/08.nf/textdruck?Tname=a0115&list=TAZ_txt&idx=90

Frankfurter Rundschau
08.05.2001

Stromschlag zum Frühstück

Peter Zadeks deutschsprachige Erstaufführung von Neil LaButes "Bash. Stücke der letzten Tage" in Hamburg

Von Frauke Hartmann

Bash - das ist wie ein Schlag vor den Kopf. Ein Schlag, an dem man sterben kann. Wie der, mit dem John einen unbekannten Schwulen gegen das Waschbecken in einem Männerpissoir knallt. Und wie jene Schläge, mit denen er anschließend dessen Schädeldecke auseinandernimmt. Oder der Stromschlag, mit dem eine junge Frau ihren Sohn in der Badewanne tötet. Oder der Geistesblitz eines Geschäftsmanns, der sein fünfmonatiges Baby im Ehebett erstickt. Es könnten Nachrichten von alltäglichen Verbrechen sein, versteckt in den Allerweltsseiten der Tageszeitung. Schon zum Frühstück nötigen sie uns ein Kopfschütteln ab, mit dem wir das Grauen loszuwerden versuchen. Vor uns selbst.

In Bash. Stücke der letzten Tage können wir nicht weiterblättern oder aufbrechen in einen gnädigeren Alltag, wir müssen sitzen bleiben wie die Mörder auf der Bühne in den drei Geschichten des amerikanischen Autors und Filmregisseurs Neil LaBute. Mörder, die niemals gefasst wurden, und uns ihre Geständnisse in einer Art Bekenntniszwang einfach erzählen. Von ihren Stühlen schauen sie uns an und zwingen zum Nachvollziehen. LaBute macht das Publikum zum Beichtvater, ob es will oder nicht. Zum Kriminalkommissar, der nach einem gelösten Fall mit unauflösbarem Unbehagen zurückbleibt. Und Peter Zadek, der LaButes aufsehenerregendes Theaterdebüt von 1999 jetzt an den Hamburger Kammerspielen zur Deutschen Erstaufführung gebracht hat, scheint sein heiliges Vergnügen daran zu haben.

LaBute, Jahrgang 1961, ist Mormone, und so werden seine Monologe auch von Mormonen gesprochen, was ihm in Amerika schon längst den Ruf eines professionellen Tabubrechers, eines Menschen- und Frauenverächters eingebracht hat. Tatsächlich aber sind es seine durchaus alltäglichen Figuren, deren Grausamkeit er als menschliche Normalität schonungslos und manchmal auch ein wenig großspurig freilegt. Das Monströse bei Neil LaBute bricht sich im Unterschied zu einer Sarah Kane oder zu einem Werner Schwab durch geringfügige Abweichungen vom Alltagsleben und -reden Bahn, durch minimalste Brüche, durch lustvolle und geplante Entscheidungen.

Da ist der junge Manager und Familienvater, der durch den vermeintlich drohenden Rausschmiss in seiner Firma dermaßen unter Druck steht, dass er in der Angst um seine Existenz die "Gelegenheit wahrnimmt", eine andere Existenz, nämlich die seiner kleinen Tochter, auszulöschen. Ben Becker spielt diesen von seiner Furcht Betrogenen unter Zadek wunderbar zurückhaltend, redet sich händefaltend, sakkozupfend und stuhlrutschend in hilflose Gebärden männlicher Überlegenheit hinein, bevor er sich als Täter entlarvt.

"iphigenie in orem" heißt diese erste Beichte in Anlehnung an das antike Karriereopfer Iphigenie und die griechische Tragödie, ebenso wie das dritte Mordgeständnis unter dem Titel "medea redux" diese anspruchsvolle Parallele zieht. Im zweiten Teil, der "eine meute von heiligen" heißt, sind die Monologe der Verlobten und Partygänger John und Sue so raffiniert verschränkt, dass sie teilweise miteinander korrespondieren, aber auch den anderen überhaupt nicht wahrzunehmen behaupten. Und dennoch gibt es einen heimlichen Konsens zwischen den beiden. Etwa, wenn Uwe Bohm als hemdsärmeliger, von seinem Vater stets unterdrückter junger Mann seine Lust an Gewalt als "keine große Sache" ausmalt, bis zu seinen Männerfreundschaften und seinem - infamerweise - religiös begründeten Schwulenhass. Dann zeigt sich seine scheinbar hoffnungslos naive, strahlend dümmliche Partnerin Judith Engel mit leuchtenden Augen der erotischen Attraktion eines Bluttropfens erlegen oder kommentiert mit denselben Worten die Wahrnehmung eines Homosexuellen und die gewalttätige Auseinandersetzung eines heterosexuellen Pärchens: "Keine große Sache".

Erst im dritten Teil "medea redux" laufen diese Fäden zusammen. Die verschiedenen Perspektiven auf Täter und Opfer verknoten sich im Monolog der jungen Frau zu einem unentwirrbaren Knoten. Statt Entwicklung gebe es im Leben nur Verwicklung, und auch die entstehe wohl nur zufällig, erklärt Judith Engel im leicht pathologischen, dürren Vokabular einer 14-jährigen. Denn an ihrem 14. Geburtstag wurde sie von ihrem Lehrer geschwängert und verlassen, und sie schloß einen Schweigepakt mit ihm. Sie verharrte mental. "Das einzig Besondere an dieser Geschichte ist, dass sie mir passierte", erklärt sie einem laufenden Kassettenrekorder. "Wenn das einer mit ner 13-jährigen macht, dann gehört sie ihm." Judith Engel schafft es, ebenso intensiv und beiläufig vom Mord an dem gemeinsamen 14-jährigen Sohn zu berichten, wie von ihrer Liebe zum Lehrer zu schwärmen. Immer am Abgrund taumelnd, Täterin und Opfer in einem in einem "brüllenden Kosmos, der sie auslacht", stellt sie am Ende die Frage nach Schuld und Sühne. Ist nicht das Leben, das sie hinter den Gittern einer Anstalt führen muss, wie das Bühnenbild andeutet, nicht Strafe genug für Schuld und Verrat?

Die kindhafte Ernst-Busch-Schülerin ist wohl die anrührendste unter den handverlesenen Protagonisten des Abends. Und im Bühnenpersonal Peter Zadeks, nach seinem Gewaltexkurs in Sarah Kanes Gesäubert, vielleicht diejenige, die die Banalität des Bösen jenseits von surrealer Poesie und Verrücktheit am eindrücklichsten vorträgt. Mit alttestamentarischer Bodenhaftung.

Bühnen- und Kostümbildner Karl Kneidl, der auch Zadeks Rosmersholm-Inszenierung an der Burg ausstattete, hat für die Beiläufigkeit der Erzählungen wunderbar beliebige Bilder gefunden. Die Diaprojektion eines Hotelzimmers beispielsweise, die in der Mitte ein wenig verrutscht ist und manchmal überblendet wird, für den Handelsreisenden Ben Becker. Oder die leeren golden und silbern glitzernden Rahmen, die den blutlüsternen Monologen des Pärchens Bohm/ Engel dezent widersprechen.

http://www.fr-aktuell.de/fr/140/t140008.htm

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nicht möglich, da es sich um einen Legacy-Beitrag handelt

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