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Verfasser: supernova
Datum: Mittwoch, den 25. April 2007, um 13:03 Uhr
Betrifft: Interesanntes gefunden

Ah ja wer produzierte den film? habe ne mail mal an sony geschickt
Alte Wunden

Marcus Hammerschmitt 25.02.2007
Das Mountain-Meadows-Massaker und der "Gottesstaat" USA
Demnächst kommt der Film [extern] "September Dawn" in die amerikanischen Kinos. Er erzählt von einem Stück US-Geschichte, das in Europa nahezu unbekannt sein dürfte, aber in den USA bis heute für heftige Diskussionen sorgt.

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Was gehört in Deutschland zum historischen Bild von den USA? Es sind ein paar Stichworte, im Nu aufgezählt: Vietnam, Kennedy, Omaha Beach, Roosevelt, die Indianerkriege, Little Big Horn und Wounded Knee, der Goldrausch und der Wilde Westen, der Unabhängigkeitskrieg, die Boston Tea Party, die Mayflower. Das Mountain-Meadows-Massaker gehört sicher nicht zu diesen paar Punkten, und das ist auch verständlich, ist es doch an weltgeschichtlicher Bedeutung mit dem, "was man von den USA so weiß" nicht zu vergleichen. Andererseits könnte es dem deutschen Blick auf die US-Geschichte ein paar interessante Facetten hinzufügen.
September Dawn. Bild: Voice Pictures

Die böse Geschichte spielt im Jahr 1857. Sie gehört in den Kontext des sogenannten Utah-Krieges, der wiederum als kleineres, regionales Vorspiel zum sich entwickelnden großen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 gesehen werden kann. Der mit knapper Mehrheit gewählte demokratische Präsident Buchanan stand unter Legitimierungsdruck und war bestrebt, seine Präsidentschaft durch die Demonstration von Entschlossenheit zu stabilisieren. Eine dankbare Gelegenheit dazu boten die Verhältnisse in Utah.

Eine durchaus militante Sekte

Utah war zu diesem Zeitpunkt noch kein ordentlicher Bundesstaat, sondern nur ein "Territorium" der USA. Man hatte bereits mehrere Anläufe unternommen das zu [extern] ändern auch wenn die mormonische Bevölkerungsmehrheit gemischte Gefühle zu dieser Frage hegte. 1850 war Utah unter die Aufsicht eines US-Gouverneurs gestellt worden. Das traf nicht auf Widerstand, weil der Gouverneur Brigham Young nicht nur Mormone war, sondern der unumstrittene Führer der Mormonen in dieser Zeit.

Die mormonische Praxis der Polygamie jedoch stand in Widerspruch zum geltenden Recht in den USA und sorgte bei vielen Amerikanern für moralische Empörung. Buchanan hatte außerdem Young im Verdacht, Utah von den USA abspalten und in eine voll souveräne mormonische Nation verwandeln zu wollen. Die Mormonen selbst sahen sich schon seit langem aus verschiedenen Richtungen bedroht, worin sie nicht nur durch den Mord an ihrem Religionsgründer und Präsidentschaftskandidaten Joseph Smith im Jahre 1844 bestärkt wurden; auch ihre Missionare trafen auf teils gewalttätige Abwehr - immer wieder spielte in diesem Zusammenhang die mormonische Polygamie eine Rolle.

Die Sekte war durchaus militant, bereits 1840 hatte Joseph Smith in Illinois die zunächst offiziell anerkannte "Nauvoo Legion" gegründet. Diese Vorliebe für die Gründung paramilitärischer Selbstschutztruppen sollte auch beim Mountain-Meadows-Massaker eine Rolle spielen. Brigham Young war nach dem Tod von Smith der Kommandant der Nauvoo Legion gewesen. Rechtshistoriker sehen ihn auch zum Zeitpunkt des Mountain-Meadows-Massakers [extern] an der Spitze der Befehlskette.

Apokalyptisches Umsiedlungsprogramm

1857 setzte Präsident Buchanan Brigham Young als Gouverneur ab und schickte zusammen mit dem neuen Gouverneur Truppen, um seiner Entscheidung Nachdruck zu verleihen. Brigham Young war ganz und gar nicht gewillt, der präsidentiellen Anordnung Folge zu leisten, sondern erklärte den Kriegszustand für Utah und mobilisierte die mormonische Bevölkerung zusätzlich für eine Art Exodus, der dem anrückenden Feind jede logistische Unterstützung entziehen sollte: Felder wurden verfrüht abgeerntet oder abgefackelt, Vieh wurde geschlachtet, ganze Siedlungen und Städte begaben sich auf die Flucht. Das apokalyptische Umsiedlungsprogramm wurde komplettiert durch militante Gruppen von Mormonen, die den anrückenden Bundestruppen Probleme machten, wo sie nur konnten.
Mountain Meadows Monument. Bild: Doug Linder

Zur gleichen Zeit bewegte sich der "Fancher-Treck" durch Utah. Er bestand aus ca. 150 Siedlern, die hauptsächlich aus Arkansas stammten und nach Kalifornien wollten. Nachdem der Treck am 3. August 1857 in Salt Lake City eingetroffen war - nur Tage vor der Ausrufung des Kriegsrechts - wandte er sich nach Südwesten. Die Reisenden trafen auf wenig Gegenliebe bei den Einheimischen, auch die Wiederaufstockung ihres Reiseproviants und des Futters für das mitgeführte Vieh (etwa 900 Rinder) wurde das Misstrauen der Einheimischen behindert, die mittlerweile jeden Fremden als Feind betrachteten.

Während der Treck auf [extern] Mountain Meadows zu fuhr - ein Areal etwa 300 Meilen von Salt Lake City entfernt - trafen sich im benachbarten Cedar City einige Mormonenanführer, um zu beraten, in welcher Weise das Kriegsrecht auf die Siedler aus Arkansas anzuwenden sei. Sie kamen zu dem Schluss, den Treck zu vernichten, schickten aber zur Absicherung ihrer Entscheidung einen Reiter nach Salt Lake City.

Das Massaker

Ob Brigham Young die nachfolgenden Ereignisse angeordnet hat, ist Gegenstand der Diskussion. Auf jeden Fall wurde der Treck am 7. September von Paiute-Indianern und Mormonen, die als Indianer verkleidet waren, überfallen. Die Paiute-Indianer waren zu dieser Zeit mit den Mormonen verbündet und unterhielten zu ihnen gute wirtschaftliche Beziehungen. Der erste Angriff auf die Karawane dauerte fünf Tage und kostete sieben Siedler das Leben, weitere sechzehn wurden verwundet. Am fünften Tag näherte sich John D. Lee, Anführer der Mormonenmiliz, die an der Aggression beteiligt war, mit einer weißen Fahne. John D. Lee war ein Veteran des militanten Mormonentums, er war mit Joseph Smith befreundet gewesen und er war ein führendes Mitglied der Daniten, eines radikalen mormonischen Geheimbunds.

Angeblich wollte er an diesem 11. September mit den Leuten vom Fancher-Treck eine Kompromisslösung aushandeln: Man bot freies Geleit gegen die Viehherde der Siedler an. Dieser "Kompromiss", der an sich schon eine höhere Form der Wegelagerei darstellte, war allerdings nur das Vorspiel für ein weit schlimmeres Verbrechen. Die Siedler wurden von den mormonischen Geleittruppen entwaffnet und in drei verschiedene Gruppen aufgeteilt. Nach einem kurzen Marsch begann das Gemetzel, dem nahezu alle Mitglieder des Fancher-Trecks zum Opfer fielen. Nur 17 Kinder wurden aufgrund ihres geringen Alters verschont. Dem gut organisierten Massaker folgte eine ebenso gut organisierte Resteverwertung und Vertuschung.

Die überlebenden Kinder wurden an mormonische Familien verkauft. Die Paiute-Indianer erhielten zum Dank für die Beteiligung an dem Massaker große Teile der Rinderherde. Das sonstige Eigentum der Siedler eigneten sich die Schlächter ebenso an. Alle unmittelbaren Beteiligten am Geschehen mussten sich zur Verschwiegenheit verpflichten. Erst zwei Jahre später - der Utah-Krieg war mittlerweile beigelegt - kam es zu einer offiziellen Untersuchung der Angelegenheit durch die US-Armee. Major James Henry Carleton und seine Leute fanden an der Stätte des Massakers immer noch Skelettreste, die sie in einem Massengrab bestatteten. Die überlebenden Kinder wurden von den Bundesbehörden freigekauft und zu Familienmitgliedern nach Arkansas gebracht.

Was geschah am 11. September 1857 in Mountain Meadows?

Carleton schrieb einen Bericht, in dem er sich über das Geschehen erschüttert zeigte, und eine Bestrafung der Verantwortlichen forderte. Allerdings wurde nie jemand anders als John D. Lee vor Gericht gestellt. Beim ersten Mal (1875) platzte der Prozess, beim zweiten Mal (1876) wurde er zum Tod verurteilt und hingerichtet. Während er sich jahrzehntelang an das Schweigegelübde gehalten hatte, mit dem die Täter die Aufklärung des Verbrechens verhindern wollten, äußerte er sich [extern] unmittelbar vor seinem Tod in [extern] recht klaren Worten zu der Frage, wer das Massaker angeordnet hatte:

Dreißig Jahre lang habe ich diesem Mann [Brigham Young] mit Freuden gedient. Seht, wohin mich das gebracht hat! Ich bin in einer feigen, niederträchtigen Art geopfert worden.

Noch deutlicher hatte er sich schon in seinen [extern] letzten niedergeschriebenen Bekenntnissen ausgedrückt:

Ich habe seit diesem Tag immer geglaubt, dass sich General George A. Smith damals in Süd-Utah aufhielt, um die Leute auf die Vernichtung des Fancher-Trecks vorzubereiten, und ich glaube jetzt, dass er zu diesem Zweck geschickt wurde - auf direkten Befehl von Brigham Young.

Was geschah am 11. September 1857 in Mountain Meadows? Ein Kollektiv von weißen Siedlern ließ sich von seinen Anführern unter dem Eindruck religiösen (Verfolgungs-)Wahns zu eliminatorischem Massenmord aufhetzen. Dieser Massenmord war kein Verbrechen aus dem Affekt heraus. Er war geplant. Hilfswillige Eingeborene wurden für die mörderische Dreckarbeit benutzt und später mit einem Teil der Beute für ihr Mittun belohnt. Die Opfer waren andere weiße Siedler, die letzendlich dem Vernichtungswillen ihrer Feinde schutzlos ausgeliefert waren.

Ungewöhnliche Fronten, die sich bei diesem kurzen, aber heftigen Aufflackern des Klerikalfaschismus auftun. Die Geschichte wirft ein aufklärendes Licht auf die unreflektierte Indianerverehrung, die man in Europa und vor allem Deutschland immer noch antrifft. Gleichzeitig gibt sie der Rede vom "Gottesstaat USA" Substanz. Üblicherweise ist das ein Kampfbegriff, mit dem vor allem der islamische Fundamentalismus und der US-Imperialismus einander unmittelbar gleichgesetzt werden sollen - wenn man nicht gleich nur auf George W. Bush und seine religiösen Überzeugungen hin personalisiert. Der Gewinner solcher Wortspiele ist dann meistens das gute alte Europa, der bekannte Hort von Menschlichkeit und Aufgeklärtheit.

Im Konkreten kann es aber durchaus Sinn machen, von US-amerikanischen Fundamentalismen zu sprechen. Obwohl sich der Bundesstaat letztendlich durchsetzte, und Utah 1896 in die Union aufgenommen wurde, blieb das Gift des apokalyptischen religiösen Wahns in der US-amerikanischen Gesellschaft immer virulent. Jon Krakauer belegt das in seinem aktuellen Buch [extern] "Under the Banner of Heaven - A Story of Violent Faith" für die Mormonen selbst und einige ihrer radikalen Abspaltungen. Aber auch so verschiedene Dinge wie das [extern] Jonestown-Massaker, die Selbsttötung der Heaven’s-Gate-Anhänger und der jüngste Zulauf für die neuen Evangelisten (vgl. [local] Christliche Fanatiker auf dem Vormarsch) geben darüber Auskunft. Wenn "September Dawn" für solche Themen ein Forum schafft, kann das nur von Vorteil sein.

Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24644/1.html

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