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der Beitrag:
Verfasser: Pyren
Datum: Donnerstag, den 9. Februar 2006, um 8:46 Uhr
Betrifft: Form und Inhalt / Wertewandel

Hallo Henning,
dein Beitrag ist sehr tiefgründig.
Ich würde gerne zwei Punkte ansprechen, die mir wichtig erscheinen.

>Die meisten Christen meinen z.B., dass man Christus anerkennen muss, um Erlösung zu finden.
> Die Bibel ist diesbezüglich auch sehr eindeutig. Ausserhalb Christi gibt es keine Erlösung. Ich
> frage mich aber, was das heissen soll.  Heisst das aber, dass ein Mensch nicht erlöst werden kann,
> wenn er Christus namentlich nicht anerkennt oder heisst dass, das ein Mensch nicht in Gott
> bewusst eingehen kann (sprichwörtlich ins Reich Gottes einzugehen), wenn er nicht die Dinge
> annimmt, für die Christus gestanden hat?

Mir scheint, dass viele Menschen Form und Inhalt verwechseln. Sie kümmern sich nicht um den Inhalt ihres Glaubens, was ihn ausmacht, was er verändert, und leben lediglich die Form aus.
Beispielsweise die Taufe:
Die Taufe ist ein Übergangsritual, dass die Aufnahme des Menschen in die Gemeinde bezeugen soll. Sie ist Symbol der "Wiedergeburt", der Reinwaschung von den Sünden.
Im neuen Testament ist deshalb hauptsächlich von Erwachsenentaufen die Rede, weil sich diese Menschen bewusst zum christlichen Glauben bekannten. Nur ein paar vage Stellen sprechen von Familientaufen, was evtl. Kinder einschließt.
Im Laufe der Zeit wurde aber aus Angst, die Kinder kämen bei einem frühen Tod nicht in den Himmel, wenn sie nicht getauft wären, die Taufe zu einem bloßen Schema verdammt, sie sagte nichts mehr über den Glauben aus, da Säuglinge getauft wurden.
Dies hat Joseph Smith zu Recht kritisiert. Dennoch scheint mir auch bei der HLT die Taufe als Schema erhalten geblieben zu sein, wie eine magische Handlung. Alle, denen man den Kopf untertaucht, erhalten einen besseren Status, als alle, bei denen man es nicht macht.
Ist das nicht eine alberne Formsache? Ist Gott ein Paragraphenreiter, müssen Menschen vor der Himmelstüre warten, bis sich ein Missionar erbarmt, während einer Session proxy-getauft zu werden, um dann überglücklich in den Himmel eingelassen zu werden?
Mir scheint dies ein oberflächliches Verständnis  zu sein.
Die wahre Lehre des Jesus von Nazareth, Nächstenliebe, wird verdrängt, weil man viel zu viel
Zeit mit den ewigen Ritualen verbringen muss, die nur noch der Form halber gelebt werden.

> Holt das Ersetzen eines Dogmas durch ein anderes den Menschen aus dieser Ohnmacht?
> Scheinbar rüttelt es ihn auf, denn die Religionen verzeichnen ja steigende Mitgliederzuwächse.
> Wirkliche Spritualität, die sich nicht vor Aufklärung und Information scheut.
> Ratzinger z.B. scheint das verstanden zu haben und beantwortet diese Wahlmöglichkeit.

Ich  bin zwar persönlich skeptisch bezüglich Ratzinger und Aufklärung, denn dieser hat vor kurzem die Arbeit der Exorzisten der katholischen Kirche explizit gelobt und ihre Notwendigkeit hervorgehoben. Ich persönlich halte einen Dämonenglauben für vor-aufklärerisch.

Jede Religion ist in eine bestimmte Gesellschaft hineingeboren worden.
Jesus hat seine Botschaft dem jüdischen Volk verkündet, deshalb sind seine Worte und Gleichnisse auf die jüdische Gesellschaft der damaligen Zeit zugeschnitten.

Buddha wuchs in einer hinduistischen Gesellschaft auf, seine Botschaft ist deshalb in hinduistisches Gedankengut gepackt.

Denkt man sich diese kulturellen Rahmenbedingungen einmal weg, entdeckt man erstaunlich viele Parallelen. Christliche Nächstenliebe und buddhistisches Mitgefühl zum Beispiel scheinen mir ein und dieselbe Sache zu sein.

Auf der anderen Seite gibt es aber eine Evolution von Religionen:
Was Mose für richtig befand, fand Jesus lange nicht mehr zeitgemäß: "Die Alten haben euch gesagt... ich aber sage euch..."
In der Bibel selbst finden wir einen Wertewandel:
Das alte Testament selbst schildert die Entwicklung vom nomadischen Opfergottesdienst zu einer Zeit, in der die Menschen nicht mehr daran glaubten, dass Gott mit Opfern zufrieden sei
("Gotteserkenntnis statt Brandopfer") Auch hier zeigt sich die innerbiblische Kritik am reinen Formgottesdienst. Gott will, dass wir unsere Sünden einsehen und uns ändern, nicht dass wir bei jeder Sünde eine Kuh verdampfen.

Die Gefahr bei Kirchendogma sehe ich darin, dass die Bibel nun schon über zweitausend Jahre alt ist. Greifen die christlichen Kirchen, besonders die evangelistischen Bibelfundamentalisten, auf diese zurück, so nehmen sie auch ein uraltes Welt- und Gesellschaftsbild an.
In dem Zusammenhang sei nur
- Die Unterordnung der Frau
- Dämonen als Krankheitsursache
- Gesellschaftszustände wie Sklaverei
zu nennen. Dies halte ich für nicht zeitgemäß, es heißt, die Uhr zurückzudrehen.
In dem Sinne ist vielleicht ein mormonische "fortgesetzte Offenbarung" gar nicht schlecht, da bei Weiterentwicklung der Gesellschaft die Kirche nicht bei ihrer veralteten Bibel stehenbleibt.
So hat sich die HLT beispielsweise erfolgreich von ihrer rassistischen Vergangenheit getrennt, indem ungeniert das Buch Mormon umgeschrieben und die Kirchenlehre geändert wurde.
Das kann ihr zwar auf der einen Seite angelastet werden ("Wieso ändert Gott seine Meinung"), auf der anderen Seite sehen sie zumindest Fehler ein und korrigieren diese, während uns die sexistischen Äußerungen eines Paulus zumindest solange erhalten bleiben, wie die christliche Religion besteht...

Nur so meine 2 Yen zu dem Thema.
Chris.

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