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Verfasser: SvenB
Datum: Montag, den 17. Oktober 2005, um 17:57 Uhr
Betrifft: Kreationismus gegen Darwinismus

Mit Gottes Wort gegen die Wissenschaft

Von Markus Becker (Quelle: Spiegel Online 17.10.06)

In der bizarren US-Debatte um Darwins Evolutionstheorie und die göttliche Schöpfung gerät die Wissenschaft zunehmend in die Defensive. Ein Museumsdirektor hat jetzt ein Handbuch mit Tipps zum Umgang mit religiösen Eiferern veröffentlicht. Es ist ein Dokument der Hilflosigkeit.

Es ist das Gefühl einsetzender Übelkeit, das Ellis Rubinstein bei der Erwähnung von "Intelligent Design" beschleicht. "Ich habe gerade gut gegessen", grummelt der dreifache Pulitzerpreisträger und ehemalige Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins "Science". Und da sein Abendessen dort bleiben solle, wo es gerade ist (nämlich in seinem Magen), wolle er sich zu dem Thema lieber nicht näher äußern.

Die Szene im altehrwürdigen Hauptquartier der New York Academy of Sciences ist bezeichnend für die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der Evolutionstheorie und den Kreationisten, die in den USA erneut ausgebrochen ist. Nur dass sich die Kreationisten diesmal nicht Kreationisten nennen, sondern versuchen, ihre Idee als "Intelligent Design" unters Volk zu bringen. Und die geht, grob verkürzt, so: Das heutige Leben ist viel zu komplex, um durch "zufällige" Evolution entstanden zu sein, weshalb eine übernatürliche Intelligenz ihre Finger im Spiel haben muss.

Dass die neuen Kreationisten Gott nicht nennen, obwohl sie ihn meinen, gehört zur Strategie. Und die führte zur wohl geschicktesten und am besten organisierten Attacke auf die Evolutionstheorie, seit Charles Darwin sie in seinem 1859 erschienenen Werk "Die Entstehung der Arten" eingeführt hat. Mittlerweile tobt in den Medien, Museen und Schulbehörden der USA ein veritabler Kulturkampf. Im US-Bundesstaat Kansas hat es Intelligent Design mittlerweile in den Biologieunterricht an staatlichen Schulen geschafft. In 20 weiteren US-Staaten werden derzeit Gesetze diskutiert, die mehr oder weniger deutlich Darwins Theorie in Frage stellen.

Konzertierte Attacke auf die Wissenschaft

Warren Allmon, Direktor des Museum of the Earth in Ithaca, hat jetzt ein "Handbuch für Museumsführer" veröffentlicht - als Argumentationshilfe für Wissenschaftler, die nicht wissen, wie sie auf verbale Angriffe von christlichen Darwin-Feinden reagieren sollen. "Einige dieser Leute sind ziemlich aggressiv", sagt Allmon. Dabei kann er sich noch glücklich schätzen, denn sein Museum liegt im Staat New York, der US-Konservativen als Hochburg der Intellektuellen und Liberalen gilt. "Wir haben hier in New York nicht so viele Kreationisten wie in Texas oder anderen Staaten des Bibelgürtels", sagt Allmon. "Viele andere Museen haben noch weit größere Probleme."

Sein Handbuch mag für Museumsführer hilfreich sein, dokumentiert aber auch die Hilflosigkeit, mit der Wissenschaftler, Lehrer und mithin alle Nicht-Anhänger eines wissenschaftlich verbrämten Kinderglaubens auf die konzertierte Attacke der Intelligent-Design-Anhänger reagieren. "Warum ist Evolution wichtig?", fragt das Handbuch. Den meisten Mitteleuropäern dürfte das etwa so sinnvoll erscheinen wie die Frage, warum es ganz gut ist, dass die Erde rund ist.

Die Mehrzahl der Amerikaner glaubt, dass die biblische Schöpfung ganz real stattgefunden hat. Das zumindest besagen die meisten Umfragen der vergangenen 20 Jahre. Erst vor wenigen Wochen ergab eine Erhebung des Pew Research Center, dass 64 Prozent der Amerikaner Kreationismus, in welcher Form auch immer, im staatlichen Schulunterricht wünschen. Nur 26 Prozent waren gegen die Vermittlung jedweder Form des göttlichen Wirkens im wissenschaftlichen Unterricht. Und: Nicht einmal jeder zweite Amerikaner glaube der Umfrage zufolge, dass sich der Mensch aus anderen Arten entwickelt hat.

Gott beschwören, ohne Gott zu nennen

Die Debatte verläuft für die Freunde der wissenschaftlichen Vernunft gefährlicher denn je, denn die Verfechter des Intelligent Design meiden fundamentalreligiöse Sprache. Das hat zunächst juristische Gründe: Der Oberste Gerichtshof der USA hat 1968, 1982 und zuletzt 1987 entschieden, dass Kreationismus an staatlichen Schulen nichts zu suchen hat - nicht einmal als Ergänzung zur Evolutionstheorie. Alles andere verletzte die in der Verfassung garantierte Trennung zwischen Kirche und Staat.

Ob die Kreationisten mit ihrer Intelligent-Design-Strategie diesmal erfolgreicher sein werden, könnte sich ebenfalls vor dem Supreme Court entscheiden. Der erste Akt des juristischen Showdowns spielt sich in diesen Tagen in Dover ab, einem Provinznest in Pennsylvania. Der Schulbeirat der örtlichen High School war der erste in den USA, der das pseudo-wissenschaftliche Konzept für den Biologieunterricht vorschrieb.
Lehrer wurden angewiesen, einen vier Absätze langen Text vorzulesen, demzufolge die Evolutionstheorie "kein Fakt" sei, "unerklärliche Lücken" aufweise und nicht die einzige Erklärung für die Entstehung des irdischen Lebens sei. Den Schülern wird außerdem ein Buch empfohlen, das Elemente von Intelligent Design enthält.

Elf Eltern zogen daraufhin vor Gericht. Sie berufen sich auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1987. Ihr Argument: "Intelligent Design" sei nichts anderes als Kreationismus unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Pikanterweise könnte ausgerechnet das Buch, das den Schülern in Dover zwangsweise empfohlen wird, diesen Vorwurf bekräftigen. Vergangene Woche sagte eine Philosophie-Professorin im Dover-Prozess aus, dass der Begriff "Kreationismus" aus den ersten Entwürfen des Buchs (Titel: "Of Pandas and People") nach dem Urteil von 1987 getilgt und schlicht durch "Intelligent Design" ersetzt worden sei. Der Streitfall könnte es nach Meinung von Beobachtern bis zum Obersten Gerichtshof in Washington bringen.

Die Speerspitze der modernen Kreationisten ist der Center of Science and Culture (CSC) des 1990 gegründeten Discovery Institute. Die Organisation hat nicht weniger zum Ziel als die Zerstörung der Wissenschaft selbst, die sie als "Quelle des Materialismus" verortet. "Wenn man die vorherrschende materialistische Wissenschaft als riesigen Baum betrachtet, soll unsere Strategie wie ein Keil funktionieren", heißt es in einem CSC-Papier mit dem Titel "The Wedge Strategy". "Der Keil ist zwar relativ klein, aber er kann den Stamm spalten, wenn er an seine schwächsten Stellen gelegt wird."

Dass die modernen Kreationisten fundamentalchristliche Sprache meiden, hat neben dem juristischen noch einen zweiten Grund, der für die Wissenschaft die eigentliche Gefahr darstellt. "Intelligent Design" soll in der Öffentlichkeit als alternative wissenschaftliche Theorie wahrgenommen werden.

Gefühlte Debatte um die Evolutionstheorie

Dieses Ziel haben die Kreationisten mittlerweile erreicht. Forscher können noch so lange das Gegenteil betonen: Die Öffentlichkeit hat den Eindruck gewonnen, um die Plausibilität der Darwinschen Theorie tobe eine wissenschaftliche Debatte - und was für eine.

Die Intelligent-Design-Anhänger nutzen die Offenheit des wissenschaftlichen Systems mit einer Chuzpe aus, die Vertretern des Forschungsbetriebs den Atem raubt. Sie machen sich insbesondere die Tatsache zunutze, dass selbst weithin anerkannte Fakten nach wie vor als "Theorie" gelten - etwa das heliozentrische Weltbild, demzufolge sich die Erde um die Sonne dreht.

Doch umgangssprachlich ist "Theorie" ziemlich gleichbedeutend mit "Hypothese", was die Intelligent-Design-Anhänger ausnutzen. Sie betonen, dass die Evolutionstheorie eben nur eine Theorie sei - wohl wissend, dass die Theorie in der Wissenschaft die höchste Form der Erkenntnis und die Hypothese nur eine Vermutung sein kann.

"Wir haben den Feind vollkommen unterschätzt", sagt Alan Leshner, Geschäftsführer der American Association for the Advancement of Science (AAAS), des größten Forschungsverbands der Welt. "Die Wissenschaft ist in der Defensive, da gibt es keinen Zweifel."

Viele Forscher haben zunächst überhaupt nicht auf die Intelligent-Design-Anhänger reagiert - mit dem Verweis, dass religiöse Konzepte nicht in die Wissenschaft gehörten und eine Diskussion damit überflüssig sei. Basta. Das aber war keine glückliche Taktik. "Unsere anfängliche Weigerung, mit den Intelligent-Design-Fans auch nur zu reden, hat arrogant gewirkt", räumt Leshner im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE ein. "Wir wurden auf dem falschen Fuß erwischt."

Ritterschlag vom Präsidenten

Bei ihrer Medienkampagne spielt den Intelligent-Design-Anhängern auch der angelsächsischen Fairness-Grundsatz in die Hände, demzufolge jede Meinung eine Chance erhalten sollte. Das hat etwa in der Klimadebatte bis heute zur Folge, dass in US-Zeitungen die Behauptung, ein vom Menschen beeinflusster Klimawandel finde nicht statt, oft gleichberechtigt neben der Meinung der überwältigenden Forschermehrheit steht.

Intelligent Design wurde auf diese Weise von höchster Stelle geadelt. "Beide Seiten sollten anständig gelehrt werden", sagte US-Präsident George W. Bush - "damit die Menschen verstehen, worum es in der Debatte geht". Bush nahm nicht nur das Wort "Debatte" in den Mund, sondern sprach gar von "zwei unterschiedlichen Gedankenschulen" - zum Horror der Forscherzunft.

Wissenschaftler stehen nun vor der sprichwörtlichen Wahl zwischen Pest und Cholera: Lassen sie sich auf eine Diskussion mit den Kreationisten ein, käme das dem Eingeständnis gleich, die Evolutionstheorie stehe zur Debatte. Tun sie es nicht, stehen sie in der Öffentlichkeit wahlweise als Drückeberger, Feiglinge oder dünkelhafte Snobs da.

Für den Fall, dass man nicht bald ein Mittel gegen die Attacke der religiösen Rechten findet, befürchtet so mancher US-Forscher einen Rückfall in mittelalterliche Zustände. "Dann droht ein neues dunkles Zeitalter", fürchtet auch Leshner.

Dennoch tun sich Wissenschaftler schwer, mit den Kreationisten in den Clinch zu gehen. "Wenn die Leute mich nach Gott fragen, empfehle ich einen Besuch in der Kirche", sagt Neil deGrasse Tyson, der mit wissenschaftlichen TV-Sendungen in den USA zu Starruhm gelangte. "Intelligent Design ist ein Konzept der Ignoranz." Wer postuliere, dass ein höheres, unergründliches Wesen die Natur steuere, nehme in Kauf, "dass man keine Fragen mehr stellt". "Unter solchen Umständen hätte Isaac Newton nie gewagt, die Annahme des von Gott bewegten Firmaments in Frage zu stellen."

Warren Allmon rät derweil in seinem Leitfaden für Museumsführer, sich erst gar nicht auf eine Debatte über Gott und die Welt einzulassen. Besonders streitsüchtige Besucher solle man darauf hinweisen, dass ein Museum nicht der richtige Ort für philosophische, religiöse oder politische Diskussionen sei. Wenn auch das nichts mehr helfe, bleibe nur eines zu sagen: "Entschuldigen Sie, ich muss mal auf die Toilette."

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