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Verfasser: Nikolaj
Datum: Freitag, den 22. Juli 2005, um 15:35 Uhr
Betrifft: Ein Beitrag von Annete Seiler

Was sagt die Bibel über Homosexualität?

Die Erkenntnis, dass ich lesbisch bin, war eine der befreiensten Augenblicke meines Lebens. Ich verstand auf einmal so viel mehr über mich selbst, über meine Gefühle zu Männern und Frauen. Ich verstand auch die Worte Jesu, dass Wahrheit uns freimacht, noch viel besser. Ich brauche nicht mehr etwas zu sein, was ich gar nicht bin. In einem großen Gebiet meines Lebens, nämlich in dem meiner Beziehungen zu anderen Menschen, das früher voller Verwirrung, Lügen und Angst war, herrscht jetzt Wahrheit, Klarheit und Übersicht. Aber nach diesem Augenblick der Befreiung, des Aufatmens und der Freude, kam der Schock: Und Gott? Und die Bibel? Plötzlich sah ich mich in einer Sackgasse. Ich bin Christ. Ich bin lesbisch. Mein ganzes Leben lang hatte ich gehört, dass die beiden nicht kompatibel seien. Man darf als Christ nicht lesbisch sein, denn Homosexualität ist eine Sünde. So hatte ich es jedenfalls immer verstanden.

Aber ich bin lesbisch. Ich kann mich nicht verändern. Genauso, wie das Zebra nicht seine Streifen verändern kann, kann eine lesbische oder schwule Person ihre Sexualität nicht verändern. Es ist einfach unmöglich.

Erst dachte ich, dass ich wählen müsste: Christ sein oder lesbisch sein. Die Mehrheit evangelikaler, fundamentalistischer und charismatischer Christen verwerfen die Idee, dass es möglich ist, beides, Christ und lesbisch oder schwul zu sein. Die meisten bibelgläubigen Menschen glauben nicht, dass es möglich ist, wieder geboren zu werden und lesbisch oder schwul zu bleiben. Die Antwort auf eine Wahl wäre einfach wenn auch traumatisch. Wenn man wählen muss etwas zu sein zwischen etwas, das man verändern kann und etwas das man nicht verändern kann, dann muss man nur das wählen, was man nicht verändern kann. Wenn ich zwischen den beiden Aspekten meines Lebens wählen müsste, müsste ich die Homosexualität wählen.

Das stürzte mich in eine Krise. Erstmal war da die Angst, dass ich Gott verlieren würde. Und dann wollte ich ehrlich sein mit mir und den anderen. Für viele Wochen konnte ich nicht in die Kirche gehen, wenn ich ehrlich sein wollte. Man kann nicht in eine Gemeinschaft gehen aus der man wegen Homosexualität eigentlich ausgestoßen werden müsste. Zu gehen hätte bedeutet, dass ich meine Sexualität hätte verleugnen müssen. Darum ging ich nicht in die Kirche. Es waren Wochen in denen ich mich durch die ganze Problematik kämpfen musste. Ich habe viel über Homosexualität gelesen. Auch auf dem World Wide Web habe ich nach Information gesucht. Durch Zufall fand ich eine Verbindung zu einer Webseite mit dem Titel: "Christian homosexuals". Zum ersten Mal kam ich auf die Idee, dass man beides sein kann. Ein Klick später, und ich war auf der Seite einer Frau, einer Christin, einer Lesbe. Diese Seiten waren wieder mit anderen Seiten über dasselbe Thema verknüpft. Auch die habe ich mir angesehen. Wieder erlebte ich einen Augenblick der Wahrheit, Klarheit und Übersicht und damit der Freiheit. Man kann beides sein!

In Amerika wurde vor kurzem eine Meinungsumfrage gemacht. Auch wenn ein lesbischer/schwuler Lebensstil von mehr und mehr Leuten akzeptiert wird, so sagte die Mehrheit (christlich und nicht-christlich) dass es moralisch verkehrt sei. Und diese Ansicht wird damit begründet, "dass die Bibel sagt, es sei Sünde." In einem anderen Abschnitt habe ich über den Ausdruck "moralisch verkehrt" mehr gesagt. Hier, auf dieser Seite möchte ich untersuchen, was die Bibel sagt.

Viele Christen haben also ein unbehagliches Gefühl, wenn es um Homosexualität geht. Viele Lesben und Schwule haben ein unbehagliches Gefühl. Dieses unbehagliche Gefühl hat, unter anderen, seinen Ursprung in einer Theologie, die sagt, dass Homosexualität Sünde ist. Wenn Dinge oft genug gesagt werden, so glauben wir, dass sie stimmen. Das ist die Grundlage von Propaganda. Aber es heißt dann noch lange nicht, dass das Gesagte wahr ist. Wenn es Christen oft genug gesagt wird, dass Homosexualität Sünde ist, so nehmen sie an, dass es Wahrheit ist. Die wenigsten Christen und die wenigsten Pastoren die "Homosexualität = Sünde" predigen, haben sich wirklich mit dem auseinander gesetzt, was die Bibel darüber sagt. Wie ein Papagei plappert man einfach nach, was die anderen sagen. Dabei sollen wir doch sein wie die in Beröa:

Apg. 17:11
Diese aber waren edler als die in Thessalonich; sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf und untersuchten täglich, ob dies sich so verhielte.

In den letzten Jahren hat man sich mit der Schrift auseinander gesetzt, und viele sind zum Schluss gekommen, dass die Bibel Homosexualität nicht verdammt, wenn man die Grenzen in acht nimmt, die allen Beziehungen gegeben werden.

Bevor wir zu den einzelnen Schriftstellen kommen, müssen wir uns erstmal Gedanken machen über die Bibel und über Bibelinterpretation.

Die Bibel
Die Bibel ist Gottes Wort, Gottes Sprechen zu uns. Sie gibt uns Richtlinien zum Leben und korrigiert uns, wenn wir auf dem falschen Wege sind. Es ist auch ein Buch der Liebe, des Trostes und der Ermutigung. Es sollte niemals wie ein Hammer gebraucht werden, um die, die ehrlich nach Gott und seinem Willen fragen, nieder zuhauen.

Gottes Wort ist wahr. Alle Geschichten in der Bibel sind wahr. Ich glaube, dass alles, was in der Bibel geschrieben wurde seinen Ursprung in Gott hatte. Ich glaube allerdings nicht, dass die Autoren der Bibel in einen trance-ähnlichen Zustand waren als sie die Worte nieder schrieben. Es ist deutlich, dass ihre Persönlichkeit ihr Schreiben beeinflußte. Paulus, zum Beispiel, schrieb anders als Johannes.

Die Bibel offenbart uns den Gott, den wir anbeten sollen, aber Gottes Wort ist nicht Gott. Wir sollen also nicht die Bibel anbeten. Die persönliche Beziehung zu Gott ist viel wichtiger als das legalistische Halten von Gesetzen und Traditionen. Es gab auch zu Jesu Zeiten Menschen, die genau das taten und Jesus brachte seinen Zorn über sie (und sie waren die einzigen, die seinen Zorn zu spüren bekamen) wie folgt zum Ausdruck:

Matthäus 23:23-28
Wehe euch, Schriftgelehrten und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verzehntet die Minze und den Anis und den Kümmel und habt die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen. Ihr blinden Führer, die ihr die Mücke sieht, das Kamel aber verschluckt! Wehe euch, Schriftgelehrten und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel, inwendig aber sind sie voller Raub und Unenthaltsamkeit. Blinder Pharisäer! Reinige zuerst das Inwendige des Bechers, damit auch sein Auswendiges rein werde. Wehe euch, Schriftgelehrten und Pharisäer, Heuchler! Ihr gleicht übertünchten Gräbern, die von außen zwar schön scheinen, inwendig aber voll von Totengebeinen und aller Ungerechtigkeit sind. So scheint auch ihr von außen zwar gerecht vor den Menschen, von innen aber seid ihr voll Heuchelei und Gesetzlosigkeit.

In Matthäus 15:3-9 sagte er:

Er [Jesus] aber antwortete und sprach zu ihnen [den Schriftgelehrten und Pharisäern]: Warum übertretet auch ihr das Gebot Gottes um euer Überlieferung willen? Denn Gott hat geboten und gesagt: "Ehre den Vater und die Mutter!" und "Wer Vater und Mutter flucht, soll des Todes sterben." Ihr aber sagt: Wenn jemand zum Vater oder zur Mutter spricht: Eine Opfergabe sei das, was dir von mir zunutze kommen könnte, der braucht seinen Vater oder seine Mutter nicht zu ehren; und ihr habt so das Gebot Gottes ungültig gemacht um euer Überlieferung willen. Heuchler! Trefflich hat Jesaja über euch geweissagt, indem er spricht: "Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren.

Ãœbersetzung der Bibel
Wir müssen immer bedenken, dass die Übersetzung und Interpretation der Bibel von Menschen getan wurde, Menschen, die subjektiv sind. Es ist unmöglich objektiv zu sein. Das Betrachtete wird vom Betrachter beeinflußt. Alles was wir uns ansehen, auch die Bibel, sehen wir aus unserer Perspektive, aus dem, was wir sind. Oft gibt es für einen hebräischen oder griechischen Begriff keinen Begriff im Deutschen, oder ist der Begriff sehr weit und wird mit einem engeren Begriff übersetzt. Das ist vor allem in einigen englischen Übersetzungen der Fall. Verse, die sich vehement in Englisch gegen Homosexualität aussprechen tun es nicht in den Originaltexten. Darum ist es wichtig zu den Originaltexten zurückzugehen. Wie alle Informationsquellen müssen auch Bibelübersetzungen hinterfragt werden. Zu oft spricht nicht mehr Gott, sondern der Übersetzer.

Interpretation der Bibel
Erstmal muss gesagt werden, dass die Bibel das Wort "homosexuell" nicht kennt. Dieses Wort wurde erst im 19. Jahrhundert in der Psychologie geprägt. (Das Wort "gay" oder "gai" hat seinen Ursprung im Mittelalter.) Es ist also nie von Homosexualität die Rede, sondern von Handlungen, die schwul oder lesbisch sein könnten. Ob es sich dort um Homosexualität handelt ist oft eine Sache der Interpretation. Bei Interpretation werden immer außerbiblische Aspekte, z.B. die eigenen Abneigungen, Traditionen, Erfahrung mit ins Spiel gebracht. Niemand kann objektiv sagen "Was sagt Gott?", sondern es ist immer "Was meine ich sagt Gott?" Bei biblischer Interpretation ist Demut und der Wille, sich Gottes Willen anzupassen äußerst wichtig. Dies gilt auch wenn man Antworten über das Thema Homosexualität in der Bibel sucht. Was steht wirklich in der Bibel? Ja, wir wollen Gottes Wort über Homosexualität ernst nehmen. Aber wenn es mit menschlicher Homophobie vermischt wurde, müssen wir vorsichtig sein mit unserer Interpretation.

Kontext
Nicht nur spielt die eigene Perspektive bei der Interpretation der Bibel eine Rolle, sie spielte auch eine Rolle beim Schreiben der Bibel. Diesen kulturellen und persönlichen Kontext des Autors muss auch in acht genommen werden. Wichtig ist es auch, dass man den Kontext der einzelnen Verse im ganzen Abschnitt, Kapitel, Buch und der Bibel beachtet. Sonst kann man vieles in Verse hinein interpretieren, das gar nicht in der Bibel gesagt wird. Das ist ein wichtiger Punkt von Exegese, der von allen ernsthaften Bibelschülern betont wird, aber der oft vergessen wird um persönliche Ansichten in Bibelverse hinein zu interpretieren.

Wenn es darum geht herauszufinden was die Bibel über Homosexualität sagt, wird oft "Isogese" anstatt "Exegese" angewandt. Bei Exegese wird die Geschichte der Heiligen Schrift untersucht um festzustellen, was sie meint und wie wir das, was sie sagt in unser jetzigen Situation anwenden können. Bei Isogese wird die Heilige Schrift mit einer vorgefaßten Idee angegangen und man versucht diese Idee aus der Bibel als wahr zu beweisen. Man sucht einen sogenannten "Proof text". Oft werden die Verse dann aus dem Kontext herausgenommen und dann so dargestellt, als ob sie den ganzen Kontext vorstellen.

Die Bibel wurde lange gebraucht um gegen Lesben und Schwule zu diskriminieren. Ich selber, bevor mir bewusst wurde, dass ich lesbisch bin, las oft über die Schriftstellen hinweg und mir wurde dort gesagt: Homosexualität ist etwas Böses. Darum war es auch so schwierig zur Wahrheit zu kommen.

Aber ich stellte fest, dass die Verse über Homosexualität, besonders die sogenannten Anti-Homosexualitätverse keineswegs so offensichtlich sind, wie oft gesagt wird. Wenn sie so offensichtlich wären, gäbe es nicht so viel Diskussion über das Thema, Diskussion, die nie zu einem besonderen Standpunkt entschieden wird. Ein Student dieser Verse, Lawrence Morales, sagte über sein Studium:

One thing we learned (or at least I did) in this course is that it is nearnly impossible to obtain definite answers on sex and gender topics from ancient Israelite texts. Many times we had to concede, "We just don’t know!"

In einem Schreiben der EKD wird folgendes gesagt:

Bibelstellen zur Homosexualität sind auf dem Hintergrund ihrer zeitlichen Entstehung und damaligen kulturellen Einflüsse zu sehen. Sie können nicht mehr wörtlich angewandt werden.

Und die Lutheran Church of America sagt:

No passage specifically addresses the question facing the Church today: the morality of a just, loving, committed relationship between people of the same sex.

Zusammenfassend kann man sagen, dass in der Bibel nur drei Handlungen die mit Homosexualität zu tun haben, verboten werden:

Vergewaltigung
(Tempel)prostitution
Homosexuelle Handlungen die von Heterosexuellen als reine Lustbefriedigung getan werden
Die Bibel sagt nichts über Homosexualität als Orientierung und über lesbischen oder schwulen Handlungen zwischen zwei Homosexuellen in einer liebenden, festen, monogamen Beziehung aus.

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"Eine gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung ist natürlich und Teil Gottes Schöpfung. So ist es de facto nun mal - ob wir Menschen Gottes willentliche Schöpfung begrüßen oder nicht: Lesben und Schwule haben ein Recht auf Zärtlichkeit, über Gottes Reichtum seiner Schöpfung kann sich kein Theologe ein Urteil erlauben, ohne Gott und seine Ausdrucksvielfalt zu reduzieren oder ihn zu verleugnen."

(Andreas Frank: Engagierte Zärtlichkeit)

Unsere sexuelle Orientierung wurde uns gegeben. Es ist etwas, was wir über uns selbst entdecken - man könnte sagen "ein Geschenk Gottes." Wie wir unsere Sexualität auf andere beziehen - fürsorglich und liebend oder ausnutzend und manipulierend - hier liegt die Quelle der Sünde.

(Bishop R. Steward Wood, Jr.)

Meiner Meinung nach ist Homosexualität keine Sünde. Wenn Sexualität gebraucht wird um zu verderben, aus lüsternen und/oder egoistischen Gründen oder um jemanden weh zutun, das ist unmoralisch.

(Rabbi Jeffery Layar)

Sexual orientation does not itself determine a person’s capacity for love, beauty and joy. Sexual orientation does not itself define one’s relationship to God. A homosexual relationship that issues in faithful, tender, respectful, hopeful and mutually fulfilling acts is an instrument of love, beauty and joy. As such it is moral.

(UPC Task Force)

Die Wiedergeburt ändert nicht die sexuelle Orientierung.

Annete Seiler

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