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Verfasser: Nyu
Datum: Sonntag, den 22. Mai 2005, um 18:18 Uhr
Betrifft: spirituelles Zeugnis

Ich denke, dass es die unterschiedlichsen Gründe geben kann, warum sich ein Mensch einer Religion anschliesst oder ihr Mitglied bleibt. Sicherlich gibt es auch bestimmt genauso viele Gründe, warum ein Mensch seiner Religion auch wieder den Rücken zudreht.
Dass da jemand nach Sicherheit in einer bedrohlichen Welt sucht, ist mit Sicherheit so. Heisst das aber, dass deswegen sein Zeugnis weniger Wert ist? Zählt sein Zeugnis nicht? Und selbst wenn es das ist, vielleicht verändert sich sein Zeugnis ja noch?
Es scheint ja ein Problem mit meinen Postings zu sein, dass hinterher keiner versteht, was ich eigentlich damit aussagen wollte.
Mit meinem letzten Beitrag wollte ich grundsätzlich aussagen, dass man sich in Gänze im Detail verlieren kann, wenn man die verschiedenen Ansichten zu sachlichen Themen miteinander vergleicht, selbst wenn ich finde, dass die pro-mormonische Seite an den Hauptthemen einfach den Kürzeren zieht.

Worum es mir aber grundsätzlich geht, will ich im Folgenden besprechen.
Es ist schwer, bei spirituellen Themen eine neutrale Sicht einzunehmen. Am ehesten kann so etwas aber ein Universalist, der geistigen Erlebniswelten ähnlicher Intensität dieselbe Wertigkeit einräumt.

Ich kannte mal einen Mann in Syracuse, N.Y., der hatte nach einem Selbstmord mit 18 Jahren ein Todesnäheerlebnis, wo er zuerst in der Hölle war und dort verharrte und dann nach einem Gebet in Verzweiflung zum Licht und in diesem Licht zu Christus geführt wurde, der ihm dann sagte, dass er in "der Präexistenz" (der Herr verwendete tatsächlich dieses Wort) dazu "vorherbestimmt" sei, die "Wahrheit, die wiederhergestellt" sei, zu finden.
Als er dann die Kirche kennenlernte, wusste er "beyond a shadow of a doubt", dass die HLT-Kirche, diese wiederhergestellte Wahrheit hat.

Es mag sicher Menschen bei den Mormonen geben, die in die Kirche eintreten, weil sie die Missionare nett finden, oder sich ein Asyl in Deutschland davon versprechen, oder weil ihre Eltern sie zu einer Taufe zwingen. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass die selben Menschen aus diesen Gründen auch Mitglieder der Kirche bleiben.
Aber sie bleiben sicher auch nicht Mitglieder der Kirche, wenn sie die geschichtlichen Tatsachen untersuchen und feststellen, dass vieles aus dem Kirchenmythos Kokolores ist und viele Schlüsselbehauptungen unhaltbar sind, wenn sie nicht vorher schon ein sehr starkes Zeugnis - ein spirituelles Zeugnis - hatten, das ihnen triftige Gründe bietet, in der Kirche zu bleiben.

Ich kenne einen Familienvater, der gäbe wer weiss was dafür, wenn er dieses Zeugnis nicht hätte, damit er dann endlich der Kirche in seinem Leben den Tritt versetzen kann. Er hat aber leider dieses Zeugnis und sieht sich daher in der Zwickmühle, aus der er kein Entkommen sieht. Er hat was im Tempel erlebt und kann das nicht leugnen.

Sekundäre Bekehrungsgründe reichen einfach nicht aus, uns in der HLT-Kirche zu halten, z.B. nette Missionare, Asyl, Netzwerke, Partnerschaften usw.
Aber genauso wenig reicht doch eine Untersuchung kirchengeschichtlicher Zusammenhänge aus, um dem Kern der Bedürfnisse gerecht zu werden, die ein Mormone in seinem Glauben findet.

Glaube, mehr oder weniger institutionalisiert, ist doch keine Frage von hard facts. Das, was ich in einem Glauben suche ist doch eher Richtung oder Erlösung oder Vergebung usw.
Ich kann Dir hier einige Punkte nennen, die in diesem Zusammenhang für einen Menschen immer nur von zweitem Rang sind:
- die Version der 1. Vision aus dem Jahre 1838 unterscheidet sich von den vorangegangenen Versionen
- Oliver Cowdery und David Whitmer hatten berechtigte Vorwürfe, die sie von der Kirche entfernten
- Die Danites waren fanatische und verbrecherische Taliban und Joseph Smith wusste von ihrem Tun und forderte es sogar
- Die mormonischen Tempelriten sind freimaurerischen Ursprungs
- Das Buch Abraham ist keine Ãœbersetzung von irgendetwas
- Das Buch Mormon passt perfekt in das nord-ost amerikanische 19. Jahrhundert aber gewiss nicht in das zentralamerikanische 2. Jahrhundert v. Chr.
usw.

Ein HLT mit einem ZEUGNIS (c) vom HEILIGEN GEIST (c) wird mit den Schultern zucken und sagen "Ja und?". Er ist erschüttert, dass hier jemand an der heiligen Mission Joseph Smiths und seiner Kirche zweifelt und wendet sich angewidert ab. Aber seine seelische Wirklichkeit spielt sich nicht auf der Ebene dieser Detailbetrachtungen ab.

Dallin H. Oaks hat vor einiger Zeit (1993) eine Rede vor den Jungs von F.A.R.M.S. gehalten und da zitierte er den Rabbi Prof. Dr. Jacob Neusner, der z.B. folgendes über die Kritik am historischen Jesus gesagt hat:

"Wenn wir vom geschichtlichen Jesus sprechen, sezieren wir ein heiliges Thema mit einem säkulären Skalpel und in der allgemeinen Verwirrung über die Kathegorien von Wahrheit stirbt der Patient auf dem Operationstisch; die Chirurgen vergessen, warum sie den Schnitt gemacht haben; sie entnehmen das Herz und unterlassen es, es wieder einzusetzen.
Die Behauptung "eins und eins ergibt zwei," oder "Das Verfassungskonvent traf sich im Jahre 1787," ist einfach nicht in derselben Kathegorie wie "Mose erhielt die Torah am Sinai" oder "Jesus Christus ist der Sohn Gottes".
Welcher geschichtliche Beweis kann uns etwas darüber sagen, ob jemand tatsächlich von den Toten auferstanden ist oder was Gott dem Propheten auf dem Sinai gesagt hat? Es ist mir unmöglich, eine historische Beweisführung zu finden, die der Frage, ob der Sohn Gottes von einem jungfräulichen Mädchen geboren ist, angemessen wäre. Wie können überhaupt Geschichtswissenschaftler, die es gewohnt sind, die Gründe für den amerikanischen Bürgerkrieg zu untersuchen, von Wundern sprechen oder Menschen, die von den Toten auferstehen oder anderen Glaubensthemen. Historiker, die sich an Wundergeschichten heranwagen, erschaffen da etwas, das entweder vollständig umschreibend bleibt, oder indifferent oder einfach nur albern. In ihren Werken finden wir nichts anderes als Theologie, die sich als "kritische Geschichte" verkleidet. Wenn ich ein Christ wäre, dann würde ich mir die Frage stellen, warum die Krone der Wissenschaft, die man, reduziert auf diesweltliche Dimensionen, dem Haupt Christi aufgesetzt hat, sich doch nur wieder in eine weitere Dornenkrone verwandelt hat.
Aus meiner Sicht als Rabbi sage ich, dass diese Bücher einfach und grundsätzlich irrelevant sind."

Sicherlich spricht Oaks, wenn er den guten Rabbi zitiert, hierbei von den Tanners, von Fawn Brodie, von Dean M. Quinn und anderen.

Diese Kritikebene wird aber auch immer am Kern des Themas vorbeiführen.

Wenn Du einem treugläubigen HLT aber mit der selben Inbrunst "Zeugnis" davon ablegst, dass Der Geist des Herrn Dir persönlich davon Zeugnis vermittelt hat, dass die Kirche mit einigen ihrer Kernbehauptungen, vor allem mit ihrem Ausschliesslichkeitsanspruch unrecht hat, dann wird jener sicher ähnlich reagieren, wie wenn Du ihm von der Ersten Vision erzählst, aber dennoch hast Du Dich auf seine Ebene begeben. Und damit hat er nicht gerechnet.
So wie David Whitmer das getan hat, als er sagte, das sein Zeugnis davon, dass der Herr ihm geboten habe, sich von der Kirche zu trennen, weil sie abgefallen sei, ebenso stark ist, wie sein Zeugnis von der Göttlichkeit des Buches Mormon.

Das ist doch eine starke Behauptung.
Weitere Themen auf dieser Ebene sind:
- Ist es wahrscheinlich, dass die HLT-Kirche in Gänze die Wiederherstellung der Urkirche ist, wenn sie sich doch im Geist Christi und in der Glaubenspraxis von der Kirche des 1. und 2. Jahrhunderts unterscheidet?
- Welche Gültigkeit haben spirituelle Erlebnisse von Nicht-Mormonen, deren Aussagen den Kernaussagen spiritueller Erlebnisse von HLT widersprechen?
- Widerspricht die tatsächliche Glaubenspraxis in weiten Teilen der Kirche dem Anspruch (z.B. im Mormon Corridor), den das Mitglied an die Kirche selber stellt?
- Du sprichst das Schwarz-/Weissdenken an: War Christus ein Schwarz-/Weissdenker? Ist es wünschenswert ein Schwarz-/Weissdenker zu sein?
- Hat die Kirche, die sich als Wiederherstellung der Urkirche Christi sieht, überhaupt verstanden, worin der Unterschied zwischen mosaischem und Christusgesetz besteht?

Die Antworten auf diese Fragen verlassen aber die Ebene der Ausschliesslichkeit und des Schwarz/Weiss. Die Antworten sind so Vielschichtig wie religiöses Erleben. Deshalb fällt es mir auch schwer, die Mormonenkirche insgesamt abzulehnen, weil nämlich meines Erachtens ihre Einzigartigkeit auch nicht in Gänze ablehnenswürdig ist.
Ich bin entsetzt über dieses schizophrene Hin- und Her in einem Umfeld, das eine klare Stellung fordert.

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