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der Beitrag:
Verfasser: Nyu
Datum: Dienstag, den 15. März 2005, um 12:31 Uhr
Betrifft: Diskussion Validität von Bündnissen, bez. Rainers Anmerkung

Lieber Rainer,

Du führst hier fast beläufig einen Punkt an, der bei genauerer Betrachtung der dogmatischen Hintergründe viel Raum für Diskussion zulässt:

"Bei der Anulierung deiner Taufe geht es einzig und allein um deinen Status in der Mormonenkirche. Für diese gilt dein Taufbündnis jetzt als aufgehoben, was dir aber eigentlich jetzt egal sein sollte."

Woher leitet sich also die Gültigkeit von z.B. Taufbündnissen ab?
Ich setze mich seit etwa einem Jahr mit dem Gedanken auseinander, eine eigene Kirche zu gründen. Nicht buchstäblich! - aber zumindest in der Theorie - also mit Manifest, Glaubensgrundsätzen, Handlungen und Bündnissen (Verordnungstexten), Liturgie und allem, was dazu gehört.
Bitte also nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn dafür hoffe ich keinen Grund zu liefern.
Ich sehe das als Projekt. Für mich - zunächst. Ich will also auch niemanden einladen, mir dabei zu helfen.

Ich möchte aber hier niemanden überfordern, zumal ich die Bedenken gegenüber organisierter Religion überhaupt komplett verstehen kann. Ich sehe aber auch, das diese Ressentiments auf Problemen basieren, die eigentlich überwindbar sind und aus sachlichen Umständen heraus erklärbar sind - selbst wenn sie Anlass zu emotional aufgeladenen Bedenken bieten.

Der Anspruch wäre, ein Dokument zu entwickeln, dass alle Aspekte berücksichtigt, die sich einer spirituell- humanistisch gesinnten Organisation stellen, die ihren Ursprung in der christlich abendländischen Kultur und der jüdisch-christlichen Tradition sieht, aber Erkenntnisse anderer Kulturen berücksichtigt und annimmt.
Ich habe mir lange darüber Gedanken gemacht, ob das eine nicht das andere ausschliesst und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass das nicht sein muss.

Es kann theoretisch und auch praktisch eine sich auf Christus berufende Kirche geben, die die Mauern zwischen den Weltanschauungen und Religionen für sich überwindet.
Grundethisch würde sie sich an einem normativen Weltethos humanistischer Prägung orientieren.

Jetzt wieder zu Rainers Bemerkung bezüglich der Taufe.
Da die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage der Ansicht ist, dass sie die einzig-bindende und von Gott akzeptierte Vollmacht besitzt, hält sie natürlich ihre Taufe für ebenso bindend. Wer sich demnach von der Taufe und seinem Priestertum abwendet, die er in der Kirche an sich hat vollziehen lassen und die ihn in Verbindung mit der Konfirmation in die Kirche aufnimmt, der ist laut Kirchendoktrin verdammt. Er kann die Erlösung in Christus nicht erlangen, wenn er nicht umkehrt und sich erneut in der einzig-wahren Kirche taufen lässt. Punkt und Ausrufezeichen.

Ich kann nicht verhehlen, dass dieser Anspruch auch heute noch, nach über zwei Jahren, eine Restangst in mir zurückgelassen hat, die sich noch nicht hat abschütteln lassen.
Zwar ist mein Zeugnis obiger Aussage - nämlich der bedingten und organisationsbezogenen Gültigkeit der Taufe viel stärker und ich glaube sehr viel fester daran, dass Gott die Vielfalt liebt und Gott letztlich alle Religionen in unterschiedlicher Fülle durchdringt und absolut keine Religion Bündnisse oder Verpflichtungen anbietet, die für die gesamte Menschheit alleingültig sein kann. Aber rein psychischer und emotionaler Zweifel bleibt.

Ich weiss nicht, wem das noch so geht aber ich weiss, dass viele ehemalige Mormonen dieses Problem haben, die meisten von denen sich das aber nicht eingestehen wollen.

Wie auch immer.
Da also die Taufe oder der Initiationsritus immer nur eine Sache zwischen dem Einzelnen, Gott und der Kirche oder Organisation bleibt, ist sie interkonfessionell also austauschbar.
Somit ist auch "Vollmacht" austauschbar.
Das Aaronische Priestertum und das Melchisedekische Priestertum haben ihre Vollmacht nur innerhalb der HLT-Kirche und nirgendwo sonst.
Du, Rainer und ich waren einmal "Richter in Israel" und sind es laut Kirchenlehre auch immernoch. Damals trug ich offiziell für alle ca. 100.000 Menschen in meinem Gemeindegebiet Vollmacht und vor Gott bedingte Verantwortung, gleichgültig ob diese Menschen diese Vollmacht anerkannten oder nicht.
Es erfüllt mich mit Enzücken, dass Gott eben doch nicht nur eine letztlich verbindliche Lösung für die Menschen hat, die sich auf eine scharf abgegrenzte Institution bezieht.
Was sich auf das Volk Israel bezog bezieht sich eben nicht auf heutige Zeiten, da Gott mit diesem "Bundesvolk zu alter Zeit" eben auch ganz andere Zwecke verfolgte. Die Saat der judäo-christlichen Tradition durchsetzt heute den Wertekonsens in vielen, auch nichtchristlich-abendländischen Ländern - zumindest dem Anspruch nach. Es gilt seit Mitte des 20. Jahrhunderts darum, Pionierarbeit im Bereich einer staatenspezifischen Festschreibung eines normativen Wertekonses mittels Verfassungen, Menschen- und Bürgerrechten und internationalen Verträgen und Vereinbarungen festzuschreiben, sondern stattdessen eine wie auch immer geartete Überzeugungsarbeit zu betreiben, die einen konsensfähigen Weltethos normativ für die Menschheit unter Berücksichtigung der Weltanschauungen festschreibt.

"Einzig-wahre Tradition" und "erwähltes Volk" ist also passé - in jeder Hinsicht und mindestens schon seit fünfzig Jahren!!!

Die Argumente der ewig-gestrigen Religionsfundamentalisten sind am Aussterben.
Tatsächlich ist heutzutage stattdessen ein Phänomen erkennbar, eine Gruppe, die der Soziologe Paul H. Ray die "kulturell Kreativen" nennt (Zitat aus www.kulturkreativ.com):

"Die Ergebnisse einer repräsentativen amerikanischen Studie legen nahe, dass derzeit eine neue Bevölkerungsschicht entsteht, die jenseits von Traditionalismus und Modernismus nach neuen Wegen sucht. Der Soziologe Paul H. Ray nennt sie die "Kulturell Kreativen". Seinen Untersuchungen zufolge machen sie erstaunliche 24 Prozent der amerikanischen Gesellschaft aus. In Europa dürfte die Zahl der Kulturell Kreativen sogar deutlich höher liegen. Ihre Haltung ist gekennzeichnet durch Interesse an (auch spiritueller) Selbstverwirklichung, Wertschätzung von Beziehungen und ökologischer Lebensweise, engagierter Anteilnahme an der Welt. Weitere Merkmale sind Offenheit für fremde Kulturen und neue Ideen sowie für die Transformation der Geschlechterrollen. Aufschlussreich ist auch, was die Kulturell Kreativen ablehnen: Die Intoleranz der religiösen Rechten, den gedankenlosen Hedonismus der kommerziellen Medien und die skrupellose Umweltzerstörung im Namen des Big Business."

Aufregende Zeiten für mich. Ich empfinde diese vollkommen legitime Abkehr vom Alleinvertretungsanspruch als im höchsten Masse bereichernd. - Vorrausgesetzt, dies geschieht nicht auf Kosten der Verbindlichkeit.

Viele Grüsse,
Henning

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