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Verfasser: Renate
Datum: Sonntag, den 16. Mai 2004, um 10:20 Uhr
Betrifft: Hebräische Sichtweise der Bibel

Dazu Pinchas Lapide:

Bereshit barah Elohim et haschamajim we´et ha´aretz (Am Anfang schuf "Gott" Himmel und Erde)

Elohim ... Gott ist plural - weder Mann noch Frau. Elohim bedeutet eigentlich "die Göttlichkeiten" mit einem Hinweis darauf, dass seine Manifestationsweisen, seine Wirkungsraten unendlich sind. Daher kann Jesus Gott als "unseren Vater" anbeten, Jesaja kann Gott als "tröstende Mutter" anrufen. (Jes 66/13) Zugleich seine "mütterliche Barmherzigkeit" preisen und im selben Atemzug zu ihm sagen "Du bist unser Vater". All dies sind aber nur blasse Abbilder, die dem Ewigen nicht einmal annähernd gerecht werden können.

Die Muttersprache der Bibel kennt keine Tempusbildung des Zeitwortes im Sinne der indogermanischen Sprachen, sondern nur zwei Zustandformen, die entweder eine Handlung als bereits abgeschlossen und vollendet oder als noch andauernd bzw. im Werden begriffen kennzeichnen. Daher kennt das hebräische Zeitverständnis weder die krasse Dreiteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft noch die die sechs Temporalformen des Deutschen. Zeit erfährt der Hebräer eher als einen Fluss, der ewig weiter strömt und niemals stehen bleibt. Gott schuf ist daher im Sinn des täglichen Gebets der Synagoge zu verstehen, wo es heisst: Ich glaube mit voller Überzeugung, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, alle Geschöpfe erschaffen hat, und das er allein das Schöpfungswerk vollbracht hat, vollbringt und vollbringen wird.

Hiermit ist nicht nur der Grundgedanke einer fortschreitenden vorwärts und aufwärts strebenden Evolution zum Ausdruck gebracht, sondern auch die Erlösung als endzeitliche Vollendung mit einbezogen. Alle drei Zeiten schwingen hier in nahtloser Kontinuität mit, denn die Schöpfung ist ja im Denken des alten Israels kein einmaliges Heilshandeln Gottes, sondern eine tagtägliche segensreiche Tatkraft.

"Er erneuert jeden Tag das Werk seiner Schöpfung", das ist ein Grundgedanke im rabbinischen Schrifttum, der auf den unübersetzbaren Anfangsworten der Bibel fußt.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach, es werde Licht. Und es ward Licht (Gen 1, 1-3) Diese Verdeutschung der Einheitsübersetzung (1980) erweckt den Eindruck einer Zeitenfolge, in der das "Schaffen", das "Schweben", das "Sprechen" und das "Lichtwerden" einen Ablauf bilden. Dem ist jedoch nicht so im Urtext, der diese Handlung durch ein fünfmaliges "und" verbindet, das in diesem Fall die zeitliche Zusammengehörigkeit dieser vier Zeilen unterstreicht. Sinngemäß sollte es also heißen:

Als Gott sich anschickte Himmel und Erde zu schaffen - das Weltall war damals (noch) Irrsal und Wirrsal mit Finsternis über der Urflut und Braus Gottes schwebend über dem Wasser - , da sprach Gott: Licht werde! Und Licht ward.

Lapide weiter:

Im Bilde Gottes schuf er [den Menschen] ihn

"Ebenbild" oder "Abbild" ist nur ein blasser Nachhall Gottes; d.h., wir sind alle Gott ähnlich, das ist ein Adelsbrief, den keiner uns nehmen kann, den keiner uns rauben soll. Aber "Gott gleich", das kommt im Sündenfall des Paradieses vor, wo diese Gottähnlichkeit von der Schlange benützt wird um zur letzten Stufe vorzustoßen, nämlich "Gott gleich" zu werden, also Gott zu entthronen um selber Gott zu spielen - eine Versuchung, der viele unserer Zeitgenossen noch immer ausgesetzt sind.

Ich will ihm eine Gehilfin machen, die ihm sei (Gen 2, 18)

So übersetzt die Lutherbibel diesen Schlüsselsatz, der zur Erschaffung der ersten Frau führt, während die katholische Einheitsübersetzung ihn wiedergibt als Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht Während die Gehilfin Luthers einen herabsetzenden Beigeschmack hat, ist die katholische Vokabel "Hilfe" dem Original näher, eine Bezeichnung, die in der Bibel häufig für Gott selbst gebraucht wird. Beide Übersetzungen werden jedoch dem hebräischen Grundwort nicht gerecht, das klipp und klar von einer Hilfe ihm entgegen spricht, wobei das letzte WErt nicht nur das Gegenüber, sondern ganz unüberhörbar die Opposition mitschwingen lässt. Eva war also weder als unterwürfige Ja-Sagerin, noch als demütige Mitläuferin gemeint, sondern als Person mit Eigenrecht, die widersprechen soll und aufbegehren darf, etwa im Sinne des britischen Parlaments, das ohne "Her Majesty´s Loyal Opposition" nicht funktionieren könnte.

Und Gott baute ein Weib aus der Rippe, die Er von Adam nahm... (Gen 2, 22)

So steht es in so gut wie allen deutschsprachigen Bibelübersetzungen. Das hebräische Wort, das hier Anwendung findet, kann nur selten "Rippe" bedeuten und wird in der Regel als "Flanke" oder "Seite" übersetzt. - z. B. im Zusammenhang mit der Stiftshütte in der Wüste, der Bundeslade und beim Tempel in Jersualem. Eine Flanke ist bekanntlich anatomisch unentbehrlich. Den Verlust einer einzigen Rippe hingegen hätte Adam leicht verwinden können. Kein Wunder also, dass die Fehlübersetzung der "Rippe" unvermeidlich zu einer Geringschätzung der Frau in der christlichen Welt führen musste.

Der Tatsache, dass Eva also aus einer Seite Adams erstanden ist, gewinnen die Rabbinen einen tieferen Sinn ab. Hätte Gott der Frau beschieden, über den Mann zu herrschen, so hätte Er sie aus Adams Kopf geschaffen [...] Hätte Er ihr hingegen beschieden, Adams Sklavin zu sein, so hätte Er sie aus dessen Füßen gestaltet (gemäß der Bildhaftigkeit der orientalischen Symbolik). Er aber nahm sie aus Adams Seite, weil Er sie zu Adams gleichberechtigter Gefährtin bestimmt hat - auf dass sie beide Seite an Seite den Lebensweg beschreiten und vollenden mögen.

Quellen: "War Eva an allem schuld?: Gespräche über die Schöpfung" / Pinchas Lapide 1. Aufl. Mainz - Matthias-Grünewald-Verlag 1995
(Topos Taschenbücher; Bd 254) ISBN 3-7867-1874-1

"Ist die Bibel richtig übersetzt?" / Pinchas Lapide Bd.1 (1986) und Bd.2 (1994) Gütersloher Verlagshaus - ISBN 3-89350-839-2 -

Pinchas Lapide (1922 - 1997), jüdischer Theologe und Religionswissenschaftler. War Institutsleiter an der Bar-IIan-Universität (Israel), Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Promotion in Judaistik in Köln; Zahlreiche Gastprofessuren und Vorträge an Universitäten im In- und Ausland

Lapide: Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: Man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen verträgt sich nur schlecht.

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